Vision und Wirklichkeit – Zu Gast bei der 5. Expertenrunde FCAS der IDLw

Für die Entwickler vergangener Zeiten war alles viel einfacher. Noch zu Zeiten der Industrialisierung konnten sich die Ingenieure sicher sein, dass Dampfmaschinen, Hebel und Zahnräder auch in 20 Jahren noch hinreichend aktuell sein würden. Nach der heutigen Einschätzung sämtlicher Experten ist es mit solch paradiesischen Zuständen jedoch für immer vorbei. Heute setzt nicht mehr die Hardware die Standards – die Software der entwickelten Systeme muss zukunftsfähig sein, da sich ihre Lebenszyklen mit dem Fortschreiten der Kommunikationstechnik und insbesondere der Prozessorleistung stetig verkürzen.

Diese Tatsache musste man sich vor Augen führen, wollte man am 19.02.2020 in Köln-Wahn nicht den intellektuellen Anschluss verlieren. Das Thema FCAS (Future Combat Air System), im Wesentlichen bestehend aus dem NGF (Next Generation Fighter) und verschiedenen Remote Carriers (ferngesteuerte Einheiten), die ständig Daten senden und empfangen, sich in der „Combat Cloud“ bewegen und dem Nutzer per Sensor-Datenstream in Echtzeit alle erdenklichen Informationen zur Verfügung stellen, ist so komplex, weil niemand konkret voraussagen kann, wo wir technisch in 20 Jahren stehen werden. Um dieses größte europäische Rüstungsvorhaben aller Zeiten zu schultern braucht es daher nicht nur findige Konstrukteure, sondern vor allem auch Visionäre.

Als Moderator des Nachmittagsevents hatte die IDLw Generalleutnant a.D. Klaus-Peter Stieglitz gewinnen können, der als ehemaliger Inspekteur der Luftwaffe diverse Beschaffungen miterlebt hatte und seiner Hoffnung Ausdruck verlieh, bei der kommenden ILA in Berlin ein gemeinsames FCAS-Chalet zu sehen. Denn die Unklarheit innerhalb der deutsch-französischen Kooperation hinsichtlich der Verteilung der Produktionseinheiten verzögere unnötig das Weiterkommen des Projekts, so Stieglitz. Abgesehen davon habe er zwar in Frankreich schon eine Produktionsstätte für Kampfflugzeuge gesehen, in Deutschland jedoch nicht. Nach dem zur Vernunft mahnenden Zeigefinger in Richtung Politik und Industrie übergab Stieglitz an den ersten Redner des Tages, Oberst i.G. Rupert Ficker-Reißing vom Kommando Luftwaffe, der die zahlreich erschienenen Gäste zunächst mit einigen Grundproblemen des Projekts FCAS konfrontierte: „Wie definiert sich der Luftkrieg im Jahr 2040? Welche Anzahl NGF und Remote Carriers wird 2040 benötigt? Und wie schafft die Luftwaffe den Übergang vom Kampfjet der 4. Generation in die Combat Cloud?“ Die Antworten auf diese mittelfristig noch unlösbar scheinenden Probleme musste der Luftwaffenoberst schuldig bleiben, klärte die Anwesenden aber stattdessen über den Werdegang und die Herausforderungen des Projekts und vergleichbarer Projekte im internationalen Kontext auf. Insbesondere das von Großbritannien aufgelegte Projekt „Tempest“ und die von den US-Amerikanern seit der Entwicklung des erfolgreichen F35 als dem einzigen Jet der 5. Generation (innerhalb der NATO) vorangetriebene Praxis des „Mosaic Warfare“ inklusive kurzer Softwareentwicklungs-, Weiterentwicklungs- und Einsatzzyklen fanden dabei Erwähnung. Auch stellte der Oberst die Notwendigkeit einer völlig neuen Simulationsumgebung zur Ausbildung und zur Übung mit dem neuen System of Systems heraus, denn angesichts der Reichweiten, die durch den Einsatz von Remote Carriers erreicht würden, wäre kein heimischer Live-Übungsraum mehr groß genug. Außerdem könnte durch Teilsimulationen, z.B. simulierte Remote Carriers während der Life Flying Hours mit dem NGF, eine fundierte Ausbildung in der Praxis erreicht werden. Neben zukünftigen Entwicklungen wie Künstlicher Intelligenz, Quantencomputern und Airborne Lasern dürfe man auch diese Aspekte des Projekts FCAS nicht außer Acht lassen, so Ficker-Reißing.

Zur Machbarkeit von Airborne Lasern referierte nach ihm Prof. Dr. Hans-Albert Eckel. Der Programmlinienleiter Wirkung, Werkstoffe und Cyber-Sicherheit des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) stellte verschiedene Laserprinzipien vor und bewertete sie im Kontext der Anwendbarkeit im Luftkrieg. Da es sich hier nicht um Schiffssysteme handeln würde, wie sie zurzeit auf einer Korvette der Marine erprobt werden, lag das Hauptaugenmerk des Vortrags auf der Gewicht- (bzw. Größen-) -Leistungs-Relation der aktuellen und spekulativ zukünftigen Lasersysteme. Im Gegensatz zum den meisten anderen Kernaspekten des FCAS ist die Machbarkeit von Laserwaffen nicht von der Rechnerleistung abhängig, sondern vom erreichten Miniaturisierungsgrad der Energiequelle des Lasers. Hier stellte Prof. Dr. Eckel anschaulich dar, welche Leistung für einen effizienten Einsatz von Airborne Lasern nötig wäre und welche fliegenden Systeme der Bundeswehr heutzutage schon in der Lage wären, die entsprechende Lasersysteme hinsichtlich ihres Gewichts und des enormen Platzbedarfs zu tragen. Im Wesentlichen beschränkt sich dies auf die Transportflugzeuge vom Typ Airbus A400M und Transall C-160D. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob die Laser des Jahres 2040, nach 20 weiteren Jahren der Werkstoffentwicklung, noch solche Ausmaße haben werden ­– immerhin 16,3 m³ und über 8,5 t bei 100 kW Leistung. Wo die softwareseitige Lösung der Tracking-Problematik heute dank moderner Rechnerleistung keine größeren Probleme mehr verursacht, stecken die hardwareseitigen Entwicklungen noch immer in den Kinderschuhen. International führend sind hier weiterhin die USA, die bereits in höheren Leistungsklassen experimentieren, während die Bundeswehr im Schulterschluss mit der Wehrtechnischen Industrie in der 20-kW-Klasse forscht. Federführend für diese Technologie in Deutschland sind die Unternehmen MBDA, Airbus und das DLR.

Am Anfang seines Referats zu den neusten Entwicklungen und die wahrscheinlichen Anforderungen der Zukunft an die Antriebe von Kampfflugzeugen zog MTU-Experte Gerhard Ebenhoch dem versammelten Auditorium zunächst den heute allgegenwärtigen „Öko-Zahn“. Er erklärte, dass Kampfflugzeuge auch in 20 Jahren noch mit konventionellen Verdichter-Triebwerken auf Verbrennungsbasis fliegen werden, da sich weder die Wasserstofftechnologie noch die Elektroantriebe in Bezug auf die Energieausbeute den Werten moderner Verbrenner annähern werden. Insofern konzentriere sich das Unternehmen MTU auch bei den Entwicklungen für die Antriebe des NGF nicht darauf, das Rad neu zu erfinden, sondern bestehende Technologien in Punkto Effizienz und Effektivität zu optimieren. Dazu würden verschiedene Kernforderungen besonders berücksichtigt, etwa das Heat Management an Bord und die wahrscheinlich geforderten Supercruise-Fähigkeiten zum Überschallflug ohne Nachbrenner. Außerdem ging es um die Entwicklung eines Variable Cycle Engine (VCE), einen Antrieb, der sich in Punkto Leistung und Verbrauch der jeweiligen Flugsituation anpasst, also sowohl Langstrecken-Aufklärungsflüge erlaubt als auch agile, schubintensive Luftkampfszenarien. Weitere Grundvoraussetzungen für einen zukunftsfähigen Antrieb seien neben konkreten Anforderungen von Kundenseite auch immer moderne Wartungs- und Servicekonzepte, die heute von Anfang an mitentwickelt werden müssten, so Ebenhoch.

Im darauffolgenden Vortrag klärte ESG-Projektleiter Guillaume Uhlrich das Auditorium über die Herausforderungen und den Stand des HMI (Human Machine Interface) Prototyping auf. Beim Projekt FCAS ist auch dieser Bereich einer der spekulativeren, weil sich auch hier die Frage der technologischen Entwicklung stellt. Die Systemkomponenten KI und Remote Carrier im Verbund mit der menschlichen Komponente stellen die Ingenieure und Softwareentwicklung vor die größten Herausforderungen, weil es schlicht keinerlei Erfahrungswerte in diesem Bereich gibt, die auf die zukünftigen Entwicklungen abstrahieren lassen. Die sich momentan in der Entwicklung befindlichen Interfaces, die das menschliche Gehirn direkt mit der Hardware des Computers verbinden, könnten 2040 bereits ausgereift und einsatzbereit sein und dem Piloten des NGF gedankenschnelle Entscheidungen und Steuerungsbefehle ermöglichen – vielleicht aber auch nicht. In diesem Fall müssten konventionelle Augmented-Reality-Displays und haptische oder gestengesteuerte Eingabesysteme „nur“ dem Nutzerverhalten des Users in 20 Jahren angepasst werden, was im Hinblick auf die langen Entwicklungsperioden militärischer Projekte ebenfalls eine Herausforderung darstellt. Wie umfangreich die Entwicklung wirklich sein würde verdeutlichte Uhlrich anhand der Codezeilen, die in der Software moderner Kampfflieger programmiert sind; während der Eurofighter mit 3 – 4 Mio. Codezeilen noch ein verhältnismäßig „simples“ System verglichen mit der auf rund 8 Mio. Codezeilen basierten F35 darstellt, wird das NGF schätzungsweise bereits über 20 Mio. Codezeilen verfügen. Das entspräche einer Erhöhung der Komplexität mindestens um den Faktor zwei pro Generationssprung. Uhlrich sprach sich in jedem Fall für eine offene Systemarchitektur und eine möglichst späte Hardwareauswahl für das FCAS aus, um einer Überalterung der Technologie bei Indienststellung (wie bereits häufig im Kontext militärischer Beschaffungen geschehen) entgegenzuwirken.

Der Vortrag „Air Collaborative Combat“ von Thales-Manager Oliver Dörre schloss die Lücke zwischen den sich einzeln und zusammen auf dem Kriegsschauplatz bewegenden Systemen der Zukunft. Wo sich das System of Systems in der Luft, an Land und auf/unter dem Wasser ständig über Datenverbindungen austauscht, bedarf es nicht nur neuer operationeller Konzepte, sondern auch neuer Servertechnologien, größerer Bandbreiten, offener Softwarestandards und vor allem einer viel umfassenderen Cyber-Sicherheitsarchitektur, um das riesige Big-Data-Informationsgebilde der zukünftigen Kriegsführung abzusichern. Denn mit dem Grad der Vernetzung steige naturgemäß der Grad der „Cyber Vulnerability“, so Dörre. Außerdem dürfe man die Einbindung von Legacy-Systemen wie dem Eurofighter nicht außer Acht lassen, die laut Aussage von Oberst i.G. Ficker-Reißing im Rahmen der anschließenden Fragerunde aufgrund ihres niedrigen Integrations- und Digitalisierungsgrades sogar den Vorteil mitbrächten, auch im Falle einer erfolgreichen Cyber-Attacke noch eingeschränkt handlungsfähig zu sein.

Im letzten Vortrag vor der Fragerunde klärte Airbus-Key-Accounter Christian Pols die anwesenden Experten über den Stand des als essentiell für das FCAS betrachteten Manned-Unmanned Teaming (MUM-T) auf. Dazu beschrieb er zunächst zum wiederholten Mal an diesem Nachmittag, dass die Prognosen angesichts der bevorstehenden 20 Jahre der Entwicklung schwerfielen. Die tatsächlichen Fortschritte in der Vernetzung mehrerer unbemannter Systeme untereinander sowie mit einem menschlich besetzten Leitstand allerdings ließen sich sehen: Nachdem 2018 auf dem Bundeswehr-Übungsplatz Todenhausen noch Tests mit einzelnen Systemen gemacht worden waren, konnten 2019 bereits Dual-mode-Versuche mit zwei vernetzten Flugkörpern erfolgreich abgeschossen werden. Für die kommenden Jahre sind bereits Tests in Multi-Mode-Szenarien geplant, die in einer voll integrierten, echten MUM-T-Umgebung für FCAS münden sollen.

Zum Abschluss der Veranstaltung wurden in der Fragerunde noch zwei bemerkenswerte Details im Zusammenhang mit FCAS offenbar, die die Anwesenden trotz der positiven Meldungen der Industrievertreter wieder am zügigen Fortschreiten des Projekts zweifeln ließen. Während das französische Konzept eindeutig Trägerfähigkeiten des NGF für die eigenen Nuklearwaffen vorsieht, ist sich die Bundeswehr über die nukleare Teilhabe durch den neuen Jet noch nicht im Klaren und diskutiert, inwiefern sich diese Fähigkeit evtl. durch Remote Carriers darstellen lässt. Der französische Plan, das NGF flugzeugträgerfähig zu konstruieren, stieß beim Auditorium jedoch auf Gegenliebe: Eine solche Entscheidung hätte sich bisher immer positiv auf das Gewicht-Payload-verhältnis ausgewirkt, hieß es. Jüngstes Beispiel dafür sei die französische Rafale.

Alles in allem war das Expertengespräch aufgrund seiner Informationsdichte eine Veranstaltung, die man als FCAS-Beteiligter nicht verpassen durfte, wovon nicht zuletzt die Anwesenheit von über 40 vertretenen Unternehmen und diversen Generalitäten zeugte. Es bleibt zu hoffen, dass die Geschichte des FCAS nicht Parallelen aufzeigt z.B. zum Kampfhubschrauber Tiger, wo am Ende nationaler Alleingänge zur Konstruktion mehrere überteuerte, nur eingeschränkt nutzbare Einsatzmuster stehen.

Text und Bild: Daniel Kromberg

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