Es ist kalt und neblig grau. Seit Stunden liegen die Soldaten des Bravo-Zugs in ihren Stellungen zum Absichern einer Forward Operation Base, als sich von Süden ein Fahrzeug nähert und trotz Warnschuss in die Zugangsschleuse fährt und detoniert. Zum Glück ist das nur ein Übungsszenario. Bei der Übung Big Ophelia bereiten sich die Soldaten des Objektschutzregiments der Luftwaffe „Friesland“ auf ihren bevorstehenden Einsatz im Norden Malis in Westafrika vor.
Die Luftwaffe ist Leitverband der Einsatzvorausbildung der Schutzkomponente für das nächste Kontingent in Gao/Mali. Während der Übung Big Ophelia 2017 üben Soldatinnen und Soldaten des Objektschutzregiments der Luftwaffe „Friesland“ gemeinsam mit Gebirgsjägern am Gefechtsübungszentrum des Heeres auf dem Truppenübungsplatz Gardelegen in der Altmark. Im Gefechtsübungszentrum des Heeres in der Altmark nahe Magdeburg fand die Vorausbildung und anschließende Übung statt. Das Objektschutzregiment der Luftwaffe „Friesland“ bildet für den späteren Einsatz in Mali den Leitverband und war somit Hauptverantwortlicher für die Einsatzvorausbildung aller Truppen. Neben den rund 200 Infanteristen der Luftwaffe nahmen auch große Teile des Heeres teil. Insgesamt waren 600 Soldaten an der zehntägigen Übung beteiligt. Darunter Gebirgsjäger, Scharfschützen, Kampfmittelbeseitiger, eine gemischte Aufklärungskompanie und ein Spähzug. Zusätzlich wurden vier bewegliche Sanitätstrupps aus Augustdorf beigestellt.
In einem ersten Abschnitt bereiteten sich die Teilnehmer an den ersten fünf Tagen im Rahmen einer Stationsausbildung auf die anschließende gemeinsame 72-stündige Übung vor. „In dieser sehr weitläufigen Anlage des Gefechtsübungszentrum alle Komponenten des künftigen Kontingents am Standort Gao in Mali zusammen führen zu können und gemeinsam zu beüben, ist das Besondere an der Übung Big Ophelia 2017“, so Oberstleutnant Markus Herrmann, stellvertretender Kommandeur des ObjSRgtLw ‚F‘. Dass das alles nicht ganz so einfach war, zeigte sich bereits an der ersten Ausbildungsstation: Gewinnen und sichern einer Forward Operation Base. Schnell wurde klar, dass die einsatzerfahrenen Ausbilder keine Rücksicht nehmen auf eventuelle Befindlichkeiten: „Wer hierher kommt, hat die Chance, Erfahrungen zu sammeln und Fehler zu machen, die im Einsatz im Zweifel tödlich sein können. Wir erwarten hier Motivation und die Bereitschaft, Vorschläge zu akzeptieren und umzusetzen.“ Mit dieser Forderung, die aber auch Zuspruch zugleich war, trat Ausbildungsleiter Stabsfeldwebel Roy Trenkel nach dem ersten Stationsdurchlauf vor die Übungstruppe.
Am nächsten Tag ging es früh los. Nach der Befehlsausgabe setzte sich die Kolonne mit Truppenpanzer Fuchs, fünf Dingos und zwei Eagles in Marsch. Der komplette Ausbildungstag stand unter dem Thema „Taktisches Verhalten auf Patrouille“. Hochkonzentriert lenkten die Kraftfahrer ihre Fahrzeuge über die Wald- und Schotterwege des Truppenübungsplatzes. Die Abstände der einzelnen Fahrzeuge und die Sicherungs- und Beobachtungsbereiche wurden an die Vegetation und die Geländebeschaffenheit angepasst.
Über Funk wurde die Annäherung an den Ort des ersten Auftrags der Patrouille gemeldet. Auftrag war es, einen Vulnerable Point Check zu machen. Das ist die Untersuchung eines markanten Punktes im Gelände, wie beispielsweise einer Brücke, eines Grabens oder auch eines Abwasserpunktes. Diese Punkte sind für feindliche Kräfte hervorragend geeignet, um improvisierte Sprengsätze, IED genannt, zu verstecken. Nachdem der Zug wieder seine Rundumsicherung eingenommen hatte, setzten die Kräfte ab und untersuchten nach einem fest vorgegebenen und trainierten Schema die befohlene Stelle. Im Falle eines Sprengstofffundes würden die Kampfmittelbeseitiger alarmiert werden und anschließend würde der Marsch fortgesetzt werden. Diese und ähnliche Szenarien wurden an diesem Tag noch mehrmals geübt.
Dritter Tag, dritte Station der Ausbildung
Der gesamte Zug wurde routinierter, jeder wusste, was er kann. Wieder ging es nach der Befehlsausgabe in bereits gewohnter Marschreihenfolge raus ins Gelände. Die Aufmerksamkeit unter den Soldatinnen und Soldaten war hoch. Zunächst sah es nach einer ruhigen Erkundungsfahrt aus, als es plötzlich laut wurde am Funkgerät: „TIC, TIC, Troops in contact!“ Das letzte Fahrzeug ist angesprengt worden und hatte den Anschluss an den Konvoi verloren. Schnell reagierte der Zugführer, Oberleutnant Kempf, und ließ eine Rundumsicherung einnehmen. Nach der Lagebeurteilung stellte sich heraus, dass das letzte Fahrzeug nicht mehr fahrbereit war.
Viel schlimmer war aber, dass es Verletzte gab. Diese mussten jetzt schnell medizinisch versorgt werden und dem begleitenden beweglichen Arzttrupp (BAT) übergeben. Die Verletzten mussten unter Beschuss aus dem beschädigten Dingo evakuiert werden. Während ein Teil der Gruppe den Feuerkampf aufnahm, kümmerten sich zwei Kameraden um die Verletzten. Als diese aus der Feuerlinie gebracht worden, begannen diese sofort mit der medizinischen Erstversorgung. Bloodsweep und Bodycheck, die Verfahren beherrschen die eingesetzten Einsatzersthelfer „Bravo“. Dabei geht es darum, neben den offensichtlichen Verletzungen noch weitere, verborgene Wunden zu entdecken. Die „Bravos“, wie sie auch umgangssprachlich genannt werden, sind speziell ausgebildete Soldaten. Sie wurden darauf spezialisiert, Verletzungsmuster schnell und kompetent zu versorgen, die in den meisten Fällen sonst binnen weniger Minuten tödlich wären. Dazu stehen ihnen neben dem herkömmlichen Verbandsmaterial auch besondere Mittel zur Verfügung: Wendel- und Gürteltuben zur Atemwegsstabilisierung oder auch Kanülen und Infusionen zur Kreislaufstabilisierung. Nachdem der Patient versorgt und stabilisiert wurde, wurde er zum BAT gebracht, der vor dem Angriff geschützt diese Arbeit fortfuhr.
Unterdessen ging der Feuerkampf weiter. Der Zugführer hatte seine Schwerpunktwaffe zum Einsatz gebracht, eine Granatmaschinenwaffe vom Kaliber 40×53 auf einem Dreibein. Gedeckt, und für den Gegner so gut wie unsichtbar, lag ein Scharfschützentrupp. Die abgesessenen Teile und die Waffenstationen der Fahrzeuge erwiderten den Angriff. Nach kurzer Zeit war der Feuerkampf vorbei. Über Funk wurde ein 9-Liner, ein internationaler Statusbericht zur Evakuierung Verwundeter, abgesetzt. Auch die Bergung des beschädigten Fahrzeugs musste koordiniert werden. Gemeinsam mit seinem stellvertretenden Zugführer beurteilte Oberleutnant Kempf die Lage neu und befahl weitere Maßnahmen. Als die Ausbildungsleitung die Übung unterbrach, war er sichtlich erleichtert. „Ich bin sehr froh, dass dies nur eine Übung ist. Ich hoffe, mit meinen Soldatinnen und Soldaten nie in so eine Situation zu kommen. Aber wenn das so ist, dann weiß ich jetzt, dass wir gut vorbereitet sind“, sagte Kempf.
Am nächsten Tag wurde das bisher Gelernte weiter vertieft. Was bisher im Rahmen des Zuges trainiert wurde, wurde nun auf Ebene der Kompanie geübt. Die nächsten Tage hieß es auf alle möglichen Szenarien gut vorbereitet zu sein. In der nun folgenden 72-Stunden-Übung wurde den Soldaten alles abverlangt. Jetzt musste sich zeigen, wie die eingeübten Verfahren miteinander funktionierten. Objektschützer der Luftwaffe und Gebirgsjäger des Heeres agierten alle gemeinsam miteinander, jeder mit seinen besonderen Fähigkeiten.Abläufe wurden verfeinert, Taktiken wurden gemeinsam trainiert und angepasst. Am Ende der Übung Big Ophelia hatte sich ein Team gebildet, das für den gemeinsamen Einsatz im Nordosten Malis vorbereitet war. „Ich bin mächtig stolz auf diese Truppe und habe ein gutes Gefühl diese im Juni 2017 in den Einsatz zu schicken“, sagte Oberst Oliver Walter, der Kommandeur des Objektschutzregiments der Luftwaffe „Friesland“.
Zwei Wochen gemeinsames Üben von Luftwaffe und Heer am Gefechtsübungszentrum des Heeres waren vorüber. Vieles gab es im Vorfeld zu besprechen und abzustimmen. „Ich bin dreieinhalb Jahre in diesem Bereich tätig. Ich habe noch keine bessere Vorbereitung einer Übung erlebt, als diese, die die Luftwaffe hier abgeliefert hat“, sagte Oberst Michael Knoke, Leiter des Bereichs Ausbildung und Übung am Gefechtsübungszentrum des Heeres.
Autor: Mathias Frey/Luftwaffe