A400M: Grünes Licht für den freien Fall über Wunstorf

Der Absetzer steht an der weit geöffneten Heckrampe des A400M. Vor ihm aufgereiht warten bereits die Springer auf sein Signal. Plötzlich geht alles ganz schnell: Es gibt „grünes Licht“ aus dem Cockpit, ein schrilles Klingeln ertönt, der Absetzer weist mit der Hand über die Rampe und „ab“ geht‘s. Schritt um Schritt laufen die Springer über die Rampe, hinaus in den freien Fall. Innerhalb weniger Sekunden sind alle Soldaten abgesetzt. Nach dem Absprung erwartet die Springer etwa 40 bis 60 Sekunden freier Fall. Dann ist die Höhe für das Öffnen des Gleitfallschirms erreicht.

 
„Wir wollen hier unsere Verfahren zum Absetzen von Freifallern aus dem Airbus A400M erproben“, beschreibt Oberstleutnant Dirk Olschinski das Vorhaben für die Woche. Im Luftwaffentruppenkommando leitet er die Erprobung der Einsatzverfahren des Flugzeugs. In den kommenden Tagen geht es vor allem um die Zusammenarbeit zwischen Crew und Freifallern, An- und Abflugverfahren für das Absetzen von Springern und den unterstützenden Einsatz der Airbus-Software. „Wir prüfen, ob die Verfahren des Herstellers übernommen werden können oder ob wir Anpassungen an die deutschen Vorgaben vornehmen müssen“, erklärt Olschinski. Denn mit dem A400M besitzt die Luftwaffe ein modernes und leistungsstarkes Transportflugzeug, das sich in vielen Details von der bewährten Transall C-160 unterscheidet. Das Lufttransportgeschwader 62 in Wunstorf ist während dieser Erprobung der Treffpunkt für die besten Freifaller der Bundeswehr. Das Kommando Spezialkräfte, das Kommando Spezialkräfte Marine, die Division Schnelle Kräfte, die Luftlande- und Lufttransportschule und die Kampfretter der Luftwaffe sind extra angereist, um Olschinski und die Crew des A400M mit der Kennung 54+04 zu unterstützen.

Bone gehört zu den Kampfrettern der Luftwaffe. Als erfahrener Freifaller bringt er seine Expertise in die Erprobung ein. (Quelle: Luftwaffe/Markus Schulze)

„Das ist eine einmalige Chance“
Mit dabei ist Stabsfeldwebel Sascha Bone und ein Team der Kampfretter der Luftwaffe. Er ist ein erfahrener Springer und Einsatzoffizier, der aufgrund seiner vorherigen Verwendungen seine Expertise einbringt. Bone und sein Team sind ausgebildet, abgeschossene, notgelandete und hinter den feindlichen Linien isolierte Kräfte (z.B. Luftfahrzeugbesatzungen und deren Passagiere, Personen mit besonderem Status) zu retten. Diese Befähigung nennt sich Combat Search and Rescue – kurz CSAR. Bone und sein Team können auch mit Gleitfallschirmen ihren Einsatzort erreichen.

Quelle: Luftwaffe/Markus Schulze

Bone ist anzumerken, dass er sich auf den Sprung aus dem A400M freut: „Das ist eine einmalige Chance, in solch einem frühen Stadium mit diesem neuen Luftfahrzeug zu arbeiten.“ Der Stabsfeldwebel ist ausgebildeter Absetzleiter und Einsatzoffizier. In seinem Team befinden sich erfahrene Tandemmaster und Schwerlastspringer. Diese haben zum Teil mehrere tausend Sprünge mit dem Gleitfallschirm hinter sich und springen mit bis zu 100 Kilogramm Gepäck oder einer Person (Personentransport) aus dem Flugzeug. Dabei wird die Person dem Springer vor den Körper geschnallt, so dass der Tandemmaster die Steuerung des Schirms übernimmt.

Quelle: Luftwaffe/Markus Schulze

Auf die Abstimmung kommt es an
Zur Vorbereitung auf den „scharfen Sprung“ gilt es zunächst, die Maschine und die Verfahren kennenzulernen. In sogenannten „dry runs“ probieren die Soldaten das gesamte Prozedere bis auf den Absprung aus. Vieles ist dabei erst einmal neu, wenn auch ähnlich zur bewährten C-160. „Man sieht sehr schnell, wie viel Platz man im A400M hat, wenn man in einer Größenordnung von rund 30 Soldaten im Flugzeug arbeitet“, beschreibt Bone die Vorzüge der Maschine. Zusätzlich bietet Airbus allerlei Computer zur Unterstützung der Besatzung an: vom Cockpit bis zum Laderaum.

Quelle: Luftwaffe/Markus Schulze

Dennoch bleibt der Faktor Mensch ausschlaggebend. „Vor allem auf die Koordination zwischen dem Einsatzoffizier im Cockpit und dem Absetzer an der Rampe kommt es an“, erklärt Bone. Denn der Absetzleiter und die Springer sehen im Transportraum nicht, wie nah die Maschine der Absprungzone bereits gekommen ist. „Hierfür bekommt der Absetzer über die Intercom-Anlage (Bordfunk) die sogenannten X-Zeiten angesagt.“ Dabei handelt es sich um die verbleibende Zeit bis zum Erreichen des Absprungziels. „Als Einsatzoffizier verifiziere und entscheide ich zusammen mit der Crew im Cockpit über das „GO“ für das Sprungvorhaben“, so Bone. „Auf das Zeichen des Absetzleiters legen die Springer ihre Ausrüstung an und bereiten sich für den Absprung vor.“

 

Mit 44.000 PS in die Höhe
Beim Start der Maschine zum „scharfen Durchgang“ sitzen alle Soldaten gelassen in ihren Sitzen. Ihr Gepäck befindet sich entweder auf dem Nachbarsitz oder verzurrt im Laderaum des A400M. Aus Sicht der Soldaten ein klarer Vorteil: „Wir reden stets davon, dass wir große Distanzen überwinden“, stellt Bone die Einsatzrealität dar. „Im A400M sitze ich klimatisiert und entspannt und kann mich vollkommen auf meinen Einsatz konzentrieren.“ Im Vergleich zur Transall erscheint die Beschleunigung immens und rasch steigt die Maschine auf die Absprunghöhe von 4.000 bis 4.500 Metern. Laut dröhnen die vier Turboprop-Triebwerke mit einer Gesamtleistung von über 44.000 PS im Innenraum, so dass eine normale Verständigung kaum möglich scheint. Und doch beginnen vereinzelt Soldaten zu gähnen. Was auf den ersten Blick auf ein Schlafdefizit hindeutet, sind die ersten Auswirkungen der „dünnen Luft“ in der Absprunghöhe. Denn bevor die Heckrampe geöffnet wird, leitet die Crew einen Druckausgleich ein.

Cross-Check vor dem Sprung
Durch die laut einströmende Luft und die Motorengeräusche werden Worte im Innenraum kaum mehr wahrgenommen. Daher verfolgen alle Springer aufmerksam den Absetzleiter. Während Stabsfeldwebel Bone ihm über Bordfunk die X-Zeiten ansagt, gibt er diese per Handzeichen an die Springer weiter. Kurz vor Erreichen der Absprungzone, erteilt er das Signal zum Fertigmachen für den Sprung. Die Freifaller legen ihre Ausrüstung an und kontrollieren sich gegenseitig. Als sich die scheunentorgroße Laderampe des A400M öffnet, dringt gleißendes Licht in den Innenraum. Für einen Moment scheint es, als ob ein riesiger Fernlichtscheinwerfer hinein leuchtete. Unverzagt treten die Springer an die Laderampe heran. Dann geht plötzlich alles ganz schnell.

 

Grünes Licht zum Sprung
Bone teilt via Funk dem Absetzleiter an der Rampe mit, dass die Absprungzone erreicht ist. Zugleich ertönt ein schrilles Klingeln und Lampen an der Laderampe wechseln auf grün. Mit einem Klaps auf die Schulter des ersten Springers und einem Fingerzeig über die Rampe gibt der Absetzer das Startsignal. Schritt um Schritt treten die Springer über die Rampe hinaus in den freien Fall. Das Flugzeug fliegt etwa 240 Stundenkilometer schnell. Innerhalb weniger Sekunden sind alle Soldaten abgesetzt. Nach dem Absprung erwarten die Springer 40 bis 60 Sekunden freier Fall. Dann ist die Höhe für das Öffnen des Gleitfallschirms erreicht und die Landezone über dem Fliegerhorst Wunstorf in Sicht.

Quelle: Luftwaffe/Markus Schulze

Zwei Tage intensiver Sprungdienst
An zwei aufeinanderfolgenden Tagen steigt der Airbus mit den Freifallern in die Höhe. Jeweils vormittags und nachmittags nutzen die Soldaten die Gelegenheit, das manuelle Fallschirmspringen aus dem A400M in verschiedenen Kombinationen zu erproben: Springer ohne und mit Gepäck, Schwerlastspringer und sogar im Tandem verlassen die Soldaten den A400M über die Heckrampe und die Springertüren an den Seiten. Zwischen den Sprüngen werden die Fallschirme für den nächsten Einsatz gepackt. In einer Halle bereiten die Freifaller gewissenhaft ihren Schirm für den nächsten Sprung vor. Auch Olschinski kommt nicht ohne Sprung davon. Bevor er es sich anders überlegen kann, bekommt er Gurtzeug und eine Kopfhaube angepasst und springt mit seinem Tandemmaster aus dem Flugzeug. „Ich muss gestehen, ich hatte schon ein flaues Gefühl vor dem Sprung“, beschreibt Olschinski seine Gedanken. „Doch einmal in der Luft, hat es unglaublich viel Freude gemacht.“

Quelle: Luftwaffe/Markus Schulze

Mit dem Ergebnis der Erprobung zufrieden
Am Ende der Erprobung sind die Teilnehmer zuversichtlich: „Dass man aus diesem Luftfahrzeug unfallfrei springen kann, das war uns von vornherein klar. Das haben uns die Franzosen bereits vorgemacht“, erklärt Stabsfeldwebel Bone. „Aber wie gut unsere Verfahren schon passen, das hat mich überrascht und sehr gefreut.“ Auch Olschinski zeigt sich mit dem Ergebnis der Erprobung zufrieden: „Unser Ziel war es, am Ende der Erprobung mit dem A400M, ein gemeinsames Verfahren für alle Freifaller der Bundeswehr zu haben. Dieses Ziel haben wir erreicht.“

 

Autor: Thomas Erken/Luftwaffe

X
X