Der 51-jährige Oberstleutnant Stefan Gülpen begleitet als Peer Soldaten und Zivilpersonal nach Krisensituationen. Die goldene Regel der Peers: „Bist du drin, bist du draußen.“ Sind sie selbst in die Situation emotional eingebunden, können sie die anderen Betroffenen nicht mehr als Peer begleiten.

Herr Oberstleutnant, würden Sie sich bitte einmal vorstellen?

Gülpen: Ich bin Oberstleutnant Stefan Gülpen. Ich bin verheiratet und habe 3 Kinder. Hier am Zentrum Luftoperationen bin ich seit fünf Jahren im Bereich Weiterentwicklung eingesetzt. Eine meiner Nebenfunktionen ist ich auch die Tätigkeit als Peer.

C: Was bedeutet der Begriff Peer?

Peer ist keine Abkürzung. Es ist ein englischer Begriff, der für Gleichgesinnter oder Mitglied einer Gruppe steht.

C: Und wofür gibt es Peers?

Sozusagen als psychologische Ersthelfer, das ist die Erstfunktion. Dann auch als Stütze für die Betroffenen, aber auch die Funktion als Temperaturfühler für Stimmungsschwankungen in der Einheit sollte nicht aus den Augen gelassen werden.

C: Worin liegen die Aufgaben eines Peers?

Ich komme in meiner Funktion als Peer zwei Aufgabenfeldern nach. Zum einen in Kriseninterventionen bei einem belastenden Ereignis. Hier leiste ich als Peer psychologische Unterstützung und betreue die Betroffenen. Als Peer arbeitet man dabei eng mit den Psychologen in einem Kriseninterventionsteam (KIT) zusammen. Auf der anderen Seite bin ich auch im Dienstalltag im Einsatz. Hier stehe ich als aufmerksamer Beobachter der Einheit in Kontakt mit Kameraden und Vorgesetzten, um zu erkennen, in welchen Bereichen und Situationen Probleme auftreten.

An den Absturzstellen sind viele Helfer im Einsatz. Jeder muss mit dem Erlebten als Belastung umgehen. (Quelle: Luftwaffe/Jane Schmidt)

C: Wie kamen Sie zu diesem Aufgabenfeld?

Das war vor etwa 20 Jahren, als das Flugmedizinische Institut der Bundeswehr in Fürstenfeldbruck versucht hatte, einen Personalpool für Peers aufzubauen. In den fliegenden Verbänden stellte das Institut den neuen Lehrgang vor. Ich war zu diesem Zeitpunkt im Heeresfliegerregiment 6 in Itzehoe stationiert. Nach Rücksprache mit meinem Chef habe ich versucht, einen Lehrgangsplatz zu bekommen. Das hat noch mehr als zwei Jahre gedauert, weil die Lehrgangsplätze begrenzt waren. So habe ich vor circa 18 Jahren den Peer-Lehrgang im Zentrum für Innere Führung in Koblenz absolviert. Alle fünf Jahre muss man dann einen Auffrischungslehrgang machen, um weiter in dieser Funktion tätig zu bleiben.

C: Was hat Sie dafür begeistert, dass Sie diesen Lehrgang gemacht haben?

Ich glaube, das war mein Helfersyndrom. Ich wollte in einer belastenden Situation, wie zum Beispiel einem Flugunfall, mit meiner Art und meiner Empathie den Kameraden helfen.

C: Wie oft kommen Sie mit dieser Aufgabe zum Einsatz?

In der Zweitfunktion in der Einheit, einigermaßen regelmäßig. Wie geht es den Kameraden? Ist bei denen alles in Ordnung? Dafür hat man irgendwann ein Gespür. Es ist nicht so, dass ich mir auf die Agenda schreibe: Ich müsste heute mal als Peer funktionieren. Im Rahmen des Kriseninterventionsteams waren die Flugunfälle aus jüngster Zeit die ersten beiden Male, bei denen ich abgerufen wurde.

C: Was waren Ihre Aufgaben zur Betreuung der Beteiligten?

Ich war Teil des Kriseninterventionsteams, das durch eine Psychologin geleitet wurde. Die Psychologin erweiterte ihr Kriseninterventionsteam mit Peers zu den Fachbereichen, in meinem Fall dem fliegerischen Dienst, um betroffenes Personal auch auf Augenhöhe, mit gleicher Erfahrung in der Tätigkeit anzusprechen. Wie denken die Piloten, wie denkt die Wartung, die Soldaten, die in einem fliegenden Verband groß geworden sind? Die Peers fungieren hier u.a. als Bindeglied zwischen den Soldaten und den Psychologen.

C: Wie kann ich mir eine solche Betreuung vorstellen?

Das Kriseninterventionsteam betreibt zum einen in größeren Gruppen Krisengespräche. Dort wird den Soldaten und zivilen Mitarbeitern dargelegt, was passiert ist und wie Menschen auf diese stressige und unnatürliche Situation reagieren. Auch was das Ereignis gegebenenfalls in uns auslösen kann wird behandelt. Dann gibt es noch sogenannte Diffusings. Das sind Gespräche, entweder mit Kleingruppen oder mit Einzelpersonen, in denen individuell auf die Situation der betroffenen Person eingegangen wird. Die Teilnehmer können ihre Einschätzung zum jeweiligen Ereignis beschreiben. Die dritte Aufgabe, die wir vor Ort hatten, waren die sogenannten informellen Gespräche. Dabei kommt man mit den Betroffenen ins Gespräch, ganz automatisch. Die Leute erzählen, was gestern oder vorgestern passiert ist, und ich versuche, Gesagtes und Erlebtes einzuordnen. Dabei kann ich gegebenenfalls erkennen, wer doch stärker betroffen ist als ursprünglich gedacht.

C: Was waren da die hauptsächlichen Probleme der Betroffenen?

Ein Flugunfall ist kein Normalfall und das ist genau der Punkt. Piloten, Techniker, Controller, Fluglehrer oder auch vorfliegerische Vorgesetzte beschäftigen sich nicht täglich damit. Der Dienstalltag lässt kaum Zeit für die Konfrontation mit Themen wie Verwundung oder Unfalltod. Vorgesetzte, Kameraden und Betroffene müssen sich nach einem Flugunfall mit allen Details zum Hergang und den Folgen auseinandersetzen. Auch mit sehr schmerzhaften und belastenden Tatsachen. Das ist für niemanden der Betroffenen leicht. Diese Verarbeitung begleiten wir. Da versucht das Kriseninterventionsteam Halt zu geben, zu unterstützen und in einem gewissen Sinne mögliche Stressreaktionen zu normalisieren.

Die Nachbereitung von Flugunfällen stellt für die Helfer eine hohe körperliche und psychische Belastung dar. „Wichtig ist, dass man dies als Team bewältigt“, sagt Gülpen. (Quelle: Luftwaffe/Jane Schmidt)

C: Wie gehen Sie selbst mit solchen Situationen und mit den Anliegen der Betroffenen um?

Die Peers und Psychologen besprechen sich am Tag regelmäßig. Der Leiter des Kriseninterventionsteams weiß ganz genau wer wo und mit wem spricht. Er kann das Erlebte bzw. das Erfahrene dann in den Gesprächen mit den Peers nachbereiten. Am Abend findet eine Nachbesprechung, ein sogenanntes Wrap-Up, statt. Dabei sitzt das ganze Kriseninterventionsteam zusammen, lässt den Tag Revue passieren und bespricht Belastungsfaktoren sowohl für die Betreuten als auch die Betreuer.

C: Sind sie zufrieden mit der Wahl dieses besonderen Aufgabenfeldes?

Ich mache es gerne. Ich war gespannt wie es funktioniert, wie gesagt, es waren für mich die ersten Einsätze im KIT. Aber es hat funktioniert, zumindest war das mein Eindruck durch das Feedback, das ich bei den Gesprächen und auch nachher bekommen habe. Ich würde es wieder machen. Es war gut zu sehen, dass tatsächlich ein Kriseninterventionsteam und ich als Teil davon, den Menschen helfen kann, über ihren Schmerz und ihre Trauer zu reden und diese zu verarbeiten.

„Ich würde es immer wieder tun“, unterstreicht Oberstleutnant Gülpen seine enge Verbundenheit mit der Funktion als Peer. (Quelle: Luftwaffe/Sarah Schulte)

 

Was ist ein Peer?

Peers sind psychologische Ersthelfer, die Selbst- und Kameradenhilfe auf psychischer Basis durchführen. Ihren Ursprung fanden die Peers vor mehr als 50 Jahren bei der Feuerwehr in New York, um die psychisch beanspruchten Feuerwehrleute zu betreuen. Es stellte sich heraus, dass es Feuerwehrleuten und auch Soldaten leichter fällt sich mit „Gleichgesinnten“ zu unterhalten. Fachbegriffe müssen nicht erläutert werden und Verfahren sind bekannt. Die Ausbildung der Peers erfolgt auf einem zweiwöchigen Lehrgang. Man lernt, unterschwellige Belastungen direkt zu identifizieren und diese mit den Betroffenen zu besprechen. Im Ernstfall verlegen die Peers an den Ort, an dem etwas passiert ist und führen dort Gespräche mit den Soldaten. Dies erfolgt in enger Zusammenarbeit mit den Truppenpsychologen. Eingesetzt werden Peers bei nahezu allen Bundeswehr-Dienststellen.
X
X