Major Timo Sommer schaut auf seine Uhr. „T minus 30 Sekunden“, sagt er laut. Es wird schlagartig ruhig im voll besetzten Bunker. Flugschüler, Fluglehrer und alle anderen unterbrechen ihre Gespräche und schauen auf ihre Uhren: „Ten, nine, eight, …“ wird heruntergezählt. Der Countdown für einen aufregenden Tag im Leben von zwei Flugschülern aus dem Taktischen Luftwaffengeschwader 51 “Immelmann“.
Der Briefingmarathon
Endlich ein sonniger Mittwoch im verregneten Sommer in Schleswig-Holstein. Die perfekte Voraussetzung für einen Tornado-Erstflug. Der Tag beginnt für die Flugschüler Oberleutnant Simon Thiel, Waffensystemoffizier, und Oberleutnant Michael Gärtner, Pilot, in einem Briefingraum.
Es ist Punkt 11 Uhr. Der Einsatzoffizier begrüßt die anwesenden Soldaten und baut die Verbindung zum Wetterdienst über eine Telefonverbindung auf. Das erste Briefing des heutigen Tages ist das Wetterbriefing. Es folgen sicherheitsrelevante Flugdaten für den Fliegerhorst Jagel und andere Ausweichflugplätze. Dadurch erfahren die Flugschüler, wo gerade Baumaßnahmen stattfinden, wo mit dem Flieger langgerollt werden darf oder wie ein Ausweichflugplatz angeflogen werden soll. Die Anflugrouten sind sehr genau festgelegt. Die grenzenlose Freiheit über den Wolken gibt es dann doch nicht. Denn um unnötigen Fluglärm zu verhindern, sind gerade bei dem Anflug nur ganz bestimmte Korridore freigegeben, und es gibt Flugverbotszonen, die man einhalten muss.
Nach diesem Briefing-Marathon geht es ab jetzt paarweise weiter. Eine Crew besteht immer aus einem Flugschüler und einem Fluglehrer. Fluglehrer Hauptmann Carsten Peters, der schon vor seiner Verwendung als Fluglehrer hier in Jagel flog und sich somit bestens auskennt, und WSO-Schüler Oberleutnant Simon Thiel bilden ein Team. Zur zweiten Crew gehören Fluglehrer Major Sebastian Frahm und Flugschüler Oberleutnant Michael Gärtner.
Beide Crews beginnen mit der Feinplanung. Alle Schritte werden zusammen erarbeitet und besprochen. Flugmanöver wie der „Immelmann Turn“ werden genau durchgesprochen. Die Zusammenarbeit zwischen Pilot und WSO muss später im Cockpit reibungslos funktionieren. Auch sollen Fehler frühzeitig erkannt werden. Der „Immelmann Turn“ besteht aus einem halben Looping nach oben und einer unmittelbar anschließenden halben Rolle um die eigene Achse. Mit diesem Manöver lässt sich die Flugrichtung schnell auf engstem Raum umkehren und es wird dabei Höhe gewonnen. Parallel zur Planung des Fluges müssen die Schüler Fragen ihrer Fluglehrer beantworten: Welche Treibstoffmenge wird bei bestimmten Manövern verbraucht? Wie wird bei einem Notfall im Cockpit reagiert?
Alles in allem sehr komplexe und höchst umfangreiche Planungen, die in einen Rechner eingegeben werden. Dann werden diese Flugdaten auf dem „Knochen“ genannten Missionsdatenträger gespeichert. Dieser wird später im Tornado-Cockpit wie eine SD-Speicherkarte für ein Auto-Navi eingesetzt.
Alles muss passen
Es ist mittlerweile 13.30 Uhr als die Crews das erste Mal den Bunker verlassen und ins Staffelgebäude gehen. Dort bekommen sie ihre Flugausrüstung. Die Sonne steht hoch am Himmel und der Countdown läuft weiter. In einer Stunde sollen sie das erste Mal abheben. „Jeder Lehrgangsteilnehmer bekommt seine eigene Flugausrüstung. Bei einem Flug mit dem Tornado wirken extreme Kräfte auf den Körper. Da müssen wir uns in jeder Situation auf unsere Ausrüstung verlassen können“, erklärt Oberleutnant Simon Thiel.
Mit voller Montur geht es ein letztes Mal zurück in den Bunker, um beim „Einsetzer“ Timo Sommer den Flugauftrag abzuholen. „Das Wichtigste ist hier nicht der militärische Befehl, sondern das Step-Briefing“, erklärt der Major. Mittels einer Checkliste werden nochmals alle wichtigen Punkte der abgeschlossenen Planung und die Vollzähligkeit der Ausrüstung überprüft. Der beruhigende Zuspruch eines erfahrenen Piloten darf zum Schluss auch nicht fehlen.
Auf zu den Sheltern
Der Staffelfahrer steht schon mit laufendem Motor vor dem Gebäude. Direkt geht es zur Shelter-Schleife im Osten des Flugplatzes. In einem Shelter – eine Art verbunkerte Garage – ist Platz für einen Tornado-Kampfjet. Eine Wartungscrew, das sind in der Regel drei Soldaten, ist schon seit einer guten Stunde hier beschäftigt, um das Flugzeug auf seinen Einsatz vorzubereiten. Die beiden Jets unterscheiden sich diesmal sehr voneinander. Der eine Ausbildungsflug findet mit einem „normalen“ Tornado statt: vorn sitzt der Fluglehrer als Pilot und hinter ihm der Flugschüler als WSO. Im anderen Tornado, der für die Ausbildung der Piloten vorgesehen ist, nimmt Flugschüler Oberleutnant Micheal Gärtner vorne Platz, und der Fluglehrer nimmt die Position des WSO ein.
Hier hat er, wie bei einem Fahrschulfahrzeug, die Möglichkeit, von hinten zu steuern und auch Schub zu geben. Alle wichtigen Cockpitinstrumente sind auch auf seiner Position eingebaut. „Alles in Ordnung“, ist die kurze Meldung des ersten Wartes, als die Piloten in den Shelter kommen und die Wartungscrew begrüßen. Auf einer gelben Treppenleiter, die zum Tornado-Cockpit führt, liegen das Bordbuch und die Beingurte, mit dem die Besatzungen später von einem Flugzeugwart an den Schleudersitz angeschnallt werden.
Fluglehrer Carsten Peters zeigt seinem Schüler Simon Thiel die Eintragungen im Bordbuch und erklärt genau, worauf zu achten ist. Danach folgt der „walkaround“, eine Sichtinspektion rund um das Flugzeug. Dieser Check vom Piloten an seinem Flugzeug ist ein Ritual, bei dem er für sich die wichtigsten Punkte prüft. Heute zeigt Hauptmann Peters aber auch seinem WSO-Flugschüler, was für ihn wichtig ist. „Wir wurden gebrieft, dass es etwas länger dauern kann bei den ersten Ausbildungsflügen“, erklärt ein Wart. Geduldig beantwortet der erste Wart die aufkommenden Fragen, die der Lehrer und sein Schüler haben.
Dann ist es endlich soweit: Mit der gesamten Ausrüstung geht es die steile Treppe hoch zum Cockpit. Es ist gar nicht so einfach, sich mit der Ausrüstung und dem engen Einstieg ins Cockpit zu setzen. Danach beginnt der immer wieder im Simulator trainierte Ablauf. Die Anspannung und Konzentration des Flugschülers, so kurz vor seinem ersten Flug, sind ihm anzusehen.
Der Wart hilft ihm beim Anschnallen und reicht ihm seinen Helm. „Haben alle Gehörschutz?“, hört man den Fluglehrer laut fragen, um kurz darauf die Triebwerke zu starten. Das Dröhnen der Triebwerke füllt den ganzen Shelter. Eine Kommunikation ist jetzt zwischen Schüler und Lehrer oder Wartungscrew und Piloten nur noch über Funk möglich. Alle Handgriffe laufen jetzt zusammen. Wartungscrew und Besatzung arbeiten ihre Checklisten ab. Sicherungsstifte werden gezogen, durch die Warte gezeigt und mit Blickkontakt und Handzeichen durch die Besatzung bestätigt.
Man könnte schnell vergessen, dass es sich für ein Besatzungsmitglied um seinen Erstflug handelt, so gut sind die Abläufe eingespielt. Als der erste Wart den Jet mit Handzeichen aus dem Shelter winkt, brennt die Sonne vom Himmel und die Besatzung schiebt ihre Sonnenvisiere an den Pilotenhelmen herunter. Von außen kann man gut erkennen, wie letzte Handgriffe vorgenommen werden, bevor die Maschine durch einen militärischen Gruß der Wartungscrew verabschiedet wird. Der Tornado biegt auf den Taxiway ab und rollt zur Startbahn.
Der Tornado-Erstflug
Es vibriert im Magen, und ohne Gehörschutz würde man es nicht direkt neben der Startbahn aushalten. Beide Maschinen heben nacheinander in den blauen Himmel über Jagel ab. Das Grollen wird leiser, als der glühende Nachbrenner erlischt und die Flieger am Horizont langsam verschwinden.
Die Flugschüler üben die Durchstarteübung.
Nach gut einer Stunde und insgesamt elf „Touch-and-Go’s“ – Übungen bei denen die Flugzeuge den Landeanflug proben, kurz vor dem Aufsetzen aber wieder durchstarten – landen beide Jets wieder sicher auf dem Heimatflugplatz. Nachdem die Maschinen von den Wartungscrews empfangen und vom Schleppfahrzeug zurück in ihre Shelter geschoben wurden, verstummen die Triebwerke und das große Cockpitdach öffnet sich. Erleichtert steigen beide, Fluglehrer und Schüler, aus.
Mit Handschlag und Klopfen auf die Schulter beglückwünscht der Lehrer seinen Flugschüler zum Erstflug im Tornado. Glücklich und fast sprachlos bringt Oberleutnant Simon Thiel nur ein sehr knappes aber ehrliches „Schön“ auf die Frage heraus, wie es war. Schon auf der Fahrt vom Shelter zurück zum Staffelbunker werden erste Erfahrungen zwischen Schüler und Lehrer ausgetauscht. Aber der Tag ist noch lange nicht zu Ende. Das Debriefing, die Flugnachbesprechung, steht den beiden Flugschülern noch bevor. Im Flug mitlaufende Aufzeichnungsgeräte werden ausgewertet, Fehler und positive Erfahrungen werden besprochen, um dann beim nächsten Ausbildungsflug darauf aufbauen zu können.
Die Ausbildung der Flugschüler zum Tornado-Piloten oder Waffensystemoffizier (WSO), der sogenannte B-Course, läuft seit April beim Taktischen Luftwaffengeschwader 51 in Jagel. Die angehenden Jetbesatzungen absolvierten seit dem 15 Flüge und bis zu 40 Flugstunden im Simulator, um bestmöglich auf die Aufgaben im Tornado-Cockpit vorbereitet zu sein.
Autor: Falk Bärwald/Luftwaffe