Dünne Luft und Schwerkraft – Teil 2

Dünne Luft und Schwerkraft – Teil 2

Das Flugphysiologische Trainingszentrum der Luftwaffe in Königsbrück schult jährlich mehr als 1700 fliegende Besatzungen der Bundeswehr und anderer Nationen in Unterdruckkammer, Humanzentrifuge und Disorientierungstrainer. Dieses zweitägige Training für die Jet-Besatzungen der Luftwaffe bietet neben dem Simulationsprofil oder kurz „Kammerflug“ in der Unterdruckkammer aber noch eine Reihe weiterer wertvoller Inhalte für die Fliegenden Besatzungen. Das reicht von Unterrichten über theoretische Grundlagen der Höhen- und Beschleunigungsphysiologie über das Tag- und Nachtsehen, optische Täuschungen, Schutz gegen Laserstrahlen, räumliche Desorientierung und Stressbewältigung bis hin zur Sportphysiologie mit spezieller Anleitung für richtiges Kraft- und Ausdauertraining, sowie gezielter Wirbelsäulengymnastik. Für Eurofighter Piloten wird das Training durch einen vorher stattfindenden eintägigen Qualifikations-Lehrgang in der Hochleistungszentrifuge (HZF) ergänzt. Die Teilnehmer müssen dabei Lastvielfache bis zu 9 G (neunfache Erdschwere) überstehen. Aber nicht nur Piloten und Waffensystemoffiziere der Jetverbände durchlaufen alle vier Jahre einen Flugphysiologischen Lehrgang, sondern auch Transport- und Hubschrauberbesatzungen, Fliegerärzte, Fliegerarztassistenten, Flugbegleiter und MedEvac-Personal (Flugretter). Hinzu kommen Sonderlehrgänge für fliegendes medizinisches Personal in der Intensivpflege (Strat AirMedEvac), Höhenfallschirmspringer, Jet-Passenger und Segelflieger der Sportfördergruppe. Darüber hinaus werden zusätzlich zu den High-G Qualifikationslehrgängen für Eurofighter-Piloten der Luftwaffe auch spezielle Lehrgänge für Besatzungen von Hochleistungskampfflugzeugen anderer Nationen angeboten. Neben Österreich, Schweiz, Italien, Frankreich und Spanien nutzen zehn weitere NATO-Staaten und Luftstreitkräfte aus Übersee die Einrichtungen in Königsbrück.

 

Humanzentrifuge
Das markante kuppelförmige Gebäude, in mitten der kleinen bewaldeten Bundeswehrliegenschaft nördlich von Dresden, beherbergt eine der beeindruckendsten Anlagen beim Flugphysiologischen Trainingszentrum der Luftwaffe, die Humanzentrifuge (HZF). Mit ihrem 9,5 Meter langen Arm kann das Cockpit mit eingebautem Sichtsystem eine maximale Radialbeschleunigung von 15 G (15-fache Erdschwere) bei einer Zuwachsrate von 13 G pro Sekunde erzeugen und gehört damit zu den modernsten Anlagen weltweit. „Wir können so auftretende G-Belastungen moderner Kampfflugzeuge realitätsnah simulieren. Gerade die Zuwachsraten pro Sekunde sind interessant für die Piloten, denn Jets der vierten Generation können durch ihre aerodynamischen Fähigkeiten in kurzer Zeit sehr viele G-Kräfte aufbauen“ erklärt Oberstabsarzt Dr. Ralf Mörlin (53), stellvertretender Leiter der Flugphysiologischen Ausbildung in Königsbrück und fährt fort: „Mit Einführung des Eurofighter wurde es wichtig den Piloten eine Trainingsmöglichkeit zu geben, um Lastvielfache unter sicheren Bedingungen am Boden erfahren zu können. Die Piloten müssen dabei nachweisen, dass sie neun G für 15 Sekunden aushalten können, ohne Einschränkung der Handlungsfähigkeit. Das ist Hochleistungssport.“

 

High-G Qualifikation
Bevor die Piloten ins Cockpit einsteigen dürfen, werden sie zunächst vom medizinischen Überwachungsteam mit Sensoren verkabelt, um Pulswerte und EKG-Daten überwachen und aufzeichnen zu können. Auch Oberstleutnant Gordon Schnitger (43) hat sich dieser Prozedur unterzogen. Er fliegt den Eurofighter seit etwas über einem Jahr. Beim Taktischen Luftwaffengeschwader 74 in Neuburg an der Donau ist er Kommandeur der Fliegenden Gruppe und gerade von einem Auslandseinsatz im Baltikum zurückgekehrt. Das Zentrifugentraining durchläuft er erst zum zweiten Mal. Vor Beginn seiner Umschulung vom Tornado auf den Eurofighter musste er die „9 G-Qualifikation“ bereits einmal nachweisen. Jetzt zwängt er sich hier wieder in seinen speziell angepassten AEA-Anzug, der aus Anti-G-Hose und Weste besteht. Mit dem Fliegerhelm unter dem Arm läuft er die wenigen Schritten bis zur riesigen Zentrifugenhalle und klettert in die Cockpitgondel. Ein Mitarbeiter hilft ihm beim Anschnallen und schließt die Meßkabel an, ehe dieser die Kabine von außen verschließt und die Halle verlässt. Der Leitstand im ersten Stock des Gebäudes ist bereits besetzt. Das Überwachungsteam hat an der Konsole Platz genommen und beobachtet die Anzeigen. Auf den Videomonitoren ist Oberstleutnant Schnitger zu sehen. Noch wirkt er entspannt. Oberstabsarzt Mörlin greift an der Steuerkonsole zum Mikrophon: „Wenn Sie bereit sind, dann fangen wir an. Zum Aufwärmen beginnen wir mit 7 G.“ Langsam setzt sich die Cockpitgondel in Bewegung. Immer schneller kreist sie um die Achse der Hochleistungszentrifuge. Nach kurzer Zeit liegt die siebenfache Erdschwere an. Puls und Blutdruck sind nach oben geschnellt. Alle Werte liegen jedoch noch im Normbereich. Nach 15 Sekunden ist der Probedurchgang beendet und Oberstleutnant Schnitger kann sich eine Verschnaufpause gönnen, bevor der Qualifikationsdurchgang für ihn beginnt.

 

Zentnerschwer
Ruhig zieht Schnitger den Steuerknüppel nach hinten. Die Cockpitgondel beschleunigt und rast im Kreis, die G-s nehmen stetig zu. Unter der Atemmaske verzieht sich das Gesicht und seine weit geöffneten Augen lassen die Anstrengung erkennen. Unerbittlich lastet die Schwerkraft auf dem Körper, aber der AEA-Anzug mit der Anti-G-Hose und die Druckbeatmung helfen ihm gegen das Neunfache Körpergewicht, das jetzt auf ihm lastet. Nach 15 Sekunden hat er es geschafft und bringt den Steuerknüppel wieder in Neutralstellung. Sein erster Kommentar danach: „Zwischen 7 G und 9 G ist nochmal ein gewaltiger Unterschied. Auch wenn wir im Eurofighter nicht immer an das Limit von 9 G gehen, so ist das Training hier in Königsbrück äußerst wertvoll und unverzichtbar. Zusammen mit den Erfahrungen in der Druckkammer und den Unterrichten und Demonstrationen zu räumlicher Desorientierung, Nachtsicht und Laserschutz sind die Lehrgänge in Königsbrück ein sehr wichtiger Beitrag zur Flugsicherheit, der alle vier Jahre neu sensibilisiert und das Wissen wieder auffrischt.“ Ähnlich sieht es auch Oberstleutnant Marco Mehling (39), der sich besonders für das Phänomen der Räumlichen Desorientierung interessiert. Als Tornado Pilot ist er beim Tornado Avionics Integration Support Team (TAST) in Manching tätig und begleitet Weiterentwicklungen die den Tornado betreffen. Er ist zum fünften Mal in Königsbrück und schätzt die Ausbildungseinrichtungen des Flugphysiologischen Trainingszentrums der Luftwaffe ebenfalls.

 

Disorientation Trainer
„Neben Druckkammer und Zentrifuge ist es sehr eindrucksvoll zu sehen, wie schnell einem Augen und Gleichgewichtssinn einen Streich spielen können, wenn man in den Wolken keine Referenz zum Erdboden hat“ meint Mehling und fügt hinzu: „Speziell beim engen Formationsflug kann es leicht passieren, dass einem das Gefühl etwas Falsches vermittelt. Man muss lernen den Instrumenten zu vertrauen, die einem die richtige Lage im Raum anzeigen. Der „Airfox DISO“ ist auf beweglichen Füßen gelagert. Das Cockpit kann damit in alle Richtungen geneigt werden und so Flugbewegungen simulieren. Unterstützt wird dies durch die computergenerierte Außensicht im Cockpit. Gerade junge Aircrews können hier wertvolle Erfahrungen sammeln.“ Seit 2012 ist in Königsbrück neben dem einsitzigen Disorientation Trainer (DISO 1) mit dem „Airfox DISO 2“ auch ein zweisitziges Cockpit in Betrieb, das besonders für Transporter-Besatzungen von C-160 Transall und A400M genutzt wird, sowie auch Hubschrauberbesatzungen, die grundsätzlich als Crew agieren. Als weitere Neuerung wird beim Flugphysiologischen Trainingszentrum ab 2015 auch ein Lehrgang für die Nutzung von Nachtsichtgeräten (NVG-Night Vision Goggles) in Luftfahrzeugen angeboten. Dabei werden den fliegenden Besatzungen unterschiedliche Besonderheiten im Nachtflug demonstriert. Auch das in den letzten Jahren größer gewordene Phänomen der Blendung durch Laser wird in diesem Lehrgang eingehend behandelt. Dabei geht es nicht nur um die militärische Anwendung von Lasern als Zielbeleuchter sondern auch um die Gefährdung durch handelsübliche mobile Laserstrahler, die den gesamten zivilen und militärischen Flugverkehr bedrohen.

 

Körperliche und mentale Fitness
Zusätzlich zu den Faktoren, wie Sauerstoffmangel, Schwerkraft, Räumlicher Desorientierung und eingeschränkten Sichtbedingungen, ist aber auch die körperliche und mentale Verfassung eine entscheidend für die volle Einsatzbereitschaft. Neben Unterrichtseinheiten, die Stressfaktoren, psychologische Einflüsse und Strategien zur Bekämpfung behandeln, ist gleichermaßen die physische Vorsorge von Bedeutung. Um den auftretenden körperlichen Belastungen im Flugdienst gezielt begegnen zu können, werden den Lehrgangsteilnehmern von Diplomsportlehrern und Physiotherapeuten in einer Rückenschule spezielle Übungen zur Stärkung von Körper und Wirbelsäule nahe gebracht. Diese Anleitung findet nicht nur am Flugphysiologischen Trainingszentrum in Königsbrück statt, sondern wird in den letzten Jahren in den Fliegenden Verbänden weiterentwickelt.

 

Hochmodernes Simulationszentrum
Diese kleine und besondere Dienststelle nördlich von Dresden ist eine von neun Fachgruppen, die sich auf drei Fachabteilungen des neu geschaffenen Zentrums für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe aufteilen. Im Rahmen der jüngsten Bundeswehrreform wurde die vormalige Abteilung Flugphysiologie des Flugmedizinischen Institutes der Luftwaffe (FMI) zum 1. Oktober 2013 in die neue Bundeswehr-Struktur überführt. Angefangen hat die Geschichte dieser außergewöhnlichen Dienstelle aber schon zu DDR-Zeiten. Das frühere Institut für Luftfahrtmedizin (ILM) der NVA untersuchte bereits damals NVA-Piloten, Pilotenbewerber und Fallschirmjäger auf ihre Flugtauglichkeit. Auch der DDR-Kosmonaut Sigmund Jähn wurde hier auf seinen Raumflug medizinisch vorbereitet. In den Jahren 1984 bis 1986 erfolgte mit Hilfe der österreichischen Firma Austria Metall AG (heute AMST) ein Neubau der Anlagen mit Unterdruck-Dekompressions-Kammer und Hochleistungszentrifuge. Im Rahmen der Wiedervereinigung Deutschlands wurde das ILM 1990 von der Bundeswehr übernommen und dem Flugmedizinischen Institut der Luftwaffe (FMI) angegliedert. Bis 1995 firmierte sie bei der Luftwaffe als Außenstelle für Flugmedizin, bevor sie dem FMI zunächst als Abteilung II und später als Abteilung Flugphysiologie bis 2013 unterstellt war.

 

International geschätzt und anerkannt
So schildert es Oberfeldarzt Dr. Michael Nehring (53). Er ist stellvertretender Leiter des Flugphysiologischen Trainingszentrums der Luftwaffe und Leiter der Ausbildung und beschreibt die Aufgaben seiner Dienststelle so: „Wir sind hier in Königsbrück ständig bestrebt den Lehrgangsteilnehmern ein optimales Training zu bieten. Dabei stehen Einsatzfähigkeit und Flugsicherheit an oberster Stelle. In mehr als 160 Lehrgängen betreuen wir jährlich über 1700 Lehrgangsteilnehmer aus dem In- und Ausland. Hinzu kommt noch die Beteiligung an nationalen und internationalen Forschungsprojekten in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), der Sporthochschule Köln, der Universität Dresden und anderen Institutionen. Was unsere technischen Einrichtungen betrifft, so sind wir derzeit auf neuestem Stand, denn nach der Modernisierung der Humanzentrifuge im Jahre 2005/2006 ist nun auch unsere Höhen-Klima-Simulationskammer im Jahr 2012 dem Stand der Technik angepasst worden. In der Zeit der Revision konnten wir die Ausbildung in der Unterdruckkammer in Kooperation mit dem Flugmedizinischen Institut der Tschechischen Luftwaffe in Prag fortführen. Weiterhin haben wir uns mit der Einrüstung eines zweiten Disorientierungstrainers (Airfox DISO 2) und der Aufnahme eines Nachtsehlehrganges in den Lehrgangskatalog dem Bedarf angepasst. Damit stehen wir im internationalen Vergleich ganz vorne“, berichtet Oberfeldarzt Dr. Nehring und ergänzt: „Wir hoffen, dass wir in der Zukunft die Lehrgangsinhalte der unterschiedlichen Bereiche der Flugphysiologie weiterhin zeitgerecht an die aktuellen Erfordernisse anpassen können und speziell simulationstechnisch auf dem neuesten Stand bleiben, um unsere Stellung als Kompetenzzentrum der Luft- und Raumfahrtmedizin in Europa weiter auszubauen.

 

Autor: Ulrich Metternich/Luftwaffe
Foto: Ulrich Metternich/Luftwaffe

 

 

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