Packerknoten und Kreuzschlinge für eine Punktlandung

Kein alltägliches Geschäft ist das, was die Soldaten des Penzinger Lufttransportgeschwaders (LTG) 61 derzeit üben. Am Tag der Bundeswehr sollen aus der Transall gezogene, zwei Tonnen schwere Lasten punktgenau vor den Augen der erwarteten 40.000 Besucher landen. Dazu ist ein Ablauf wie bei einer perfekten Theater-Choreografie notwendig. „Unverdreht und kreuzungsfrei“ Stabsfeldwebel Herbert Wintersohl hat noch heute im Ohr, was die Ausbilder ihm vor 20 Jahren „eingebläut“ haben. Beim Packen der Lasten, die später mit der Transall punktgenau abgesetzt werden sollen, ist höchste Genauigkeit gefragt. Wenn alles fertig ist, sieht es fast so schön aus wie die regelmäßigen Kiesfurchen in den japanischen Gärten. Heute ist Wintersohl, der bei fast allen Einsätzen der Bundeswehr dabei war, nicht mehr derjenige, der die Fallschirme an die mit Sand und Steinen gefüllten Paletten befestigt. „Aber ich weiß noch, wie mühsam es ist, eine Menge verschiedene Knoten zu beherrschen und die Last so zu schnüren, dass in der Luft nichts schief geht“, erinnert sich der 51-Jährige. Mittlerweile koordiniert er als Luftfahrzeug-Ladungsmeister das Beladen der Transall und das spätere Absetzen der Lasten.

Stabsfeldwebel Herbert Wintersohl bei der Kontrolle der angelieferten und auf der Palette verzurrten Last. (Quelle: Luftwaffe/Uwe Lenke)

Stundenlange Knüpf- und Verladearbeiten

Wintersohls Tag beginnt heute damit, die Paletten entgegenzunehmen, die die Soldaten der Luftlande- und Lufttransportschule Altenstadt mit einem schweren Lkw beim Luftumschlagszug auf dem Penzinger Flugplatz angeliefert haben. Nach der Sichtkontrolle, ob sich bei der Fahrt womöglich etwas gelöst hat, winkt er einen Staplerfahrer herbei, die ihm das zirka zwei Kubikmeter große Paket zentimetergenau in seine Transall wuchten. „Nach dem ersten vorsichtigen Einpassen muss ich die auf Rollen gelagerte Palette mit Schmackes reinschieben, um ein Arretieren sicherzustellen“, erklärt der Stabsfeldwebel. Was im offiziellen Jargon „Absetzen von Lasten im Absetzverfahren in niedriger Höhe“ heißt, nennen die Soldaten schlicht „Lasten-Drop“. Dass es nicht so einfach ist, wie „DROP“ klingt, wird deutlich, wenn man die entsprechende technische Dienstvorschrift mit deutlich über 200 Seiten liest. Die schlecht kopierten Schwarz-Weiß-Bildchen mit den Knotenknüpfanleitungen bringen vermutlich sogar einen eingefleischten Segler ins Schwitzen.

Die auf der Palette verzurrte Last. Oben liegen die Fallschirmpakete. (Quelle: Luftwaffe/Uwe Lenke)

Wir fliegen alles – von Zahnpasta bis Triebwerk

Nicht allzu oft hat Wintersohl einen Lasten-Drop zu fliegen, eher noch einen „Pers-Drop“, also das Absetzen von Fallschirmspringern. In seinem langen Fliegerleben gibt es wohl nicht viel, was der erfahrene „Loadie“, wie die Ladungsmeister von ihren Kameraden auch genannt werden, noch nicht in alle Welt transportiert hat. Besonders in Erinnerung sind ihm Hilfsgütertransporte geblieben. Von Zypern aus flogen die oberbayerischen Lufttransporter trotz widriger Umstände tonnenweise isotonische Kochsalzlösungen für die Vereinten Nationen in den Libanon. „Gerne erinnere ich mich auch an Unmengen von sogenannten Erstlingsausstattungen für Kinder: einzelne Tüten, in denen englische Mütter Zahncreme, Duschgel, Seife und ein Plüschtier gepackt hatten“, erzählt Wintersohl. „Egal, wie anstrengend dieser vierwöchige Einsatz war, es sind diese Bilder, die man nicht vergisst.“ Mittlerweile sind der Pilot und seine Besatzung an der Maschine eingetroffen. Während der Ladungsmeister die Gummispannringe oberhalb der Heckklappe befestigt, beginnt die Cockpit-Crew mit den Startvorbereitungen. Alles wird nochmal gecheckt, denn ziemlich unangenehm wäre es, würde sich die tonnenschwere Last im engen Frachtraum der Transall so verkanten, dass sie durch die Fallschirme nicht herausgezogen werden könnte.

Die Last fertig verladen im Bauch der Transall. Die gelben Gurte lösen den letzten Schirm aus, der die Pendelbewegung stoppen soll. (Quelle: Luftwaffe/Uwe Lenke)

Der Countdown läuft….

Anders als sonst, wo zuerst in irgendeine ausgewiesene Drop-Area geflogen wird, sind die Piloten beim Start diesmal schon da, wo die Last am 10. Juni, dem Tag der Bundeswehr, landen soll: direkt neben der Startbahn, vor den Augen tausender Zuschauer. Nach ein paar Runden über dem markierten Absetzpunkt beginnt der Transall-Kommandant Stabshauptmann Peter Dörnach mit dem Countdown: „X minus acht“, spricht er in sein Headset, mit dem auch Wintersohl im Ladungsraum verbunden ist. Acht Minuten Zeit für ihn, die Gurte der Transportsicherung zu entfernen und nochmals eine Sichtkontrolle zu machen. Bei „x minus drei“ reduziert Dörnach die Geschwindigkeit seiner Transall auf unter 300 Stundenkilometer. Logisch, dass die Entfernung zum Absetzpunkt genau mit seiner gerade geflogenen Geschwindigkeit korrelieren muss. X minus zwei: der Copilot öffnet vom Cockpit aus Ladetor und –rampe. Bei „x minus zehn“ (Sekunden) beginnt die Tempo-Choreografie: Ein erster kleiner Fallschirm schnalzt von der Heckklappe in den ohrenbetäubenden Luftstrom, der Lastenausziehschirm AS 3000 zieht das Fallschirmpaket aus dem Ladungsraum und sorgt noch im gerefften, also im noch nicht geöffneten Zustand dafür, dass das zwei Tonnen schwere Paket aus dem Bauch der Transall gerissen wird.

Über das Headset mit dem Cockpit verbunden (Quelle: Uwe Lemke)

„Schirm fällt…. Last rollt…. Last abgesetzt“

Die Last schießt mit einem Tempo von bis zu 65 Stundenkilometern über die Laderampe davon. Erst in dem Moment, wo die Last aus der Maschine kippt, öffnen sich an 70 Meter langen Gurten die Lastenfallschirme zu ihrer vollen Größe von je 300 Quadratmetern. Würden sie früher öffnen, würde das die Flugeigenschaft der Transall erheblich stören. „Schirm fällt…. Last rollt…. Last abgesetzt“, schreit der Ladungsmeister in kurzen Abständen in sein Mikro. Seine Hand lässt er dabei nicht von dem Nothebel mit dem er – im Falle einer Störung – den Absetzvorgang auch manuell starten könnte.

Mit bis zu 65 Stundenkilometern schießt die Last über die Laderampe davon. (Quelle: Luftwaffe/Uwe Lenke)

Alles klappt wie am Schnürchen … nein, am Seilgurt….

Doch das Spektakel geht weiter: Um ein Durchpendeln zu verhindern, bei dem die Last beim Auftreffen beschädigt würde, löst sich ein fünfter Schirm, der die Pendelbewegung so bremst, dass das Paket senkrecht auf dem Boden auftrifft. Damit nicht genug. Im Moment des Aufsetzens lösen sich die drei großen Schirme. Damit soll bei stärkerem Bodenwind vermieden werden, dass die Last von den geöffneten Schirmen davongeschleift wird. Wintersohl ist zu dem Zeitpunkt fast schon wieder über alle Berge. Wie punktgenau das Absetzen gelang, erfährt er später von den Soldaten des Luftumschlagszuges, die die Last samt Fallschirmen mit ihrem Feldarbeitsgerät wieder auf den Lkw laden und abtransportieren. „Im scharfen Einsatz haben wir das Verfahren noch nie angewendet“, erzählt Wintersohl beim Debriefing in der Staffelbar. Ursprünglicher Zweck war, die eigene Truppe aus der Luft zu versorgen. Eingang in die Lufttransportgeschichte fand hingegen das sogenannte Afrika-Verfahren. 1985 im Einsatz in Äthiopien entwickelt, ermöglicht das Abwerfen von Säcken mit Lebensmitteln aus fünf Metern Höhe eine Versorgung der hungernden Bevölkerung. Diesem Einsatz verdankt die Transall auch ihren Beinamen „Engel der Lüfte“. Eine ganz andere Höhe war dagegen in Sarajewo gefragt: um das Flugzeug vor Raketen und Handfeuerwaffen zu schützen, warfen die Transall-Besatzungen während des Jugoslawien-Krieges amerikanische Tages-Verpflegungsrationen aus sehr großen Höhen ab.

 

Autor: Max-Joseph Kronenbitter/Luftwaffe

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