Stark vernetzt und Seite an Seite

Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Boulevard Léopold III in Brüssel. Besorgt sind die Augen aus dem NATO-Hauptquartier auf eine Außengrenze des Bündnisgebietes gerichtet. Die Krise spitzt sich immer weiter zu. Zahlreiche militärische Operationen der Gegenseite lassen eine Eskalation bereits erahnen. Die Befürchtungen bewahrheiten sich. Erste ballistische Flugkörper schlagen auf dem Hoheitsgebiet des NATO-Partners ein.

Die darauffolgende politische Entschuldigung des Aggressors ist fadenscheinig. Technische Fehler seien Grund für den Vorfall, den man bedauere. Dennoch hat das Partnerland die ernste Bedrohung erkannt und im Sinne von Artikel 4 des NATO-Vertrages das Bündnis um Unterstützung gebeten. Das bedeutet erst einmal, dass sich die Partner konsultieren und über weitere Vorgehensweisen beraten. Man einigt sich schnell darauf, das Partnerland mit land- und seegestützter Luftverteidigung vor Angriffen aus der Luft zu schützen.

Die Gegenseite betrachtet das entschlossene Vorgehen der NATO ihrerseits als Provokation. Truppen und verschiedene Einheiten mobilisieren und koordinieren sich. Die Bevölkerung auf beiden Seiten ist in größter Sorge. Erste Flüchtlingsströme verlassen die massiv bedrohten Gebiete. Die Angst vor einem gegnerischen Angriff ist deutlich spürbar. Dass diese Sorge berechtigt ist, zeigt der erste feindliche Akt. Mit dem gezielten Abschuss zweier Salven ballistischer Flugkörper wird die Grenze letztendlich überschritten.

Aus der politischen Krise ist ein militärischer Konflikt geworden. Ein NATO-Partner wird aktiv angegriffen. Artikel 5 wird ausgerufen – der Bündnisfall. „Ein Angriff auf einen von ihnen ist ein Angriff auf alle.“, heißt es in dem wichtigsten Abschnitt des Bündnispapiers. 17 NATO-Länder stehen dem bedrohten Partnerland helfend zur Seite. Zum Glück nur eine Simulation. Rund 1.000 Soldatinnen und Soldaten aus 18 verschiedenen Ländern trainieren gemeinsam dieses Szenario, um im Ernstfall dafür gewappnet zu sein. Das ist „Joint Project Optic Windmill“ – kurz JPOW.

 

 

Insgesamt 18 Nationen nehmen an der Übung Joint Project Optic Windmill in den Niederlanden teil. (Quelle: Bundeswehr/Kevin Schrief)

Alles bestens vorbereitet

Ziel dieser komplett digitalen Hochwertübung ist es, die multinationale Zusammenarbeit im Rahmen der Luftverteidigung zu festigen und zu vertiefen. Schauplatz ist die Luitenant-Generaal Bestkazerne im niederländischen Vredepeel. Das Übungsszenario ist mit allen NATO-Partnern politisch abgestimmt und vereinbart.

 

Eine riesige Menge an IT-Material wird benötigt, um den Umfang der Übung JPOW zu stemmen. (Quelle: Bundeswehr/Kevin Schrief)

Die niederländischen Kameradinnen und Kameraden haben im Vorfeld ganze Arbeit geleistet. Riesige Zelte voll mit komplexen IT-Systemen wurden errichtet. Rund 90 Kilometer Netzwerk- und Glasfaserkabel sind verlegt worden, damit das Krisenszenario in Echtzeit simuliert werden kann.

Die niederländischen Partner haben großartige Arbeit im Vorfeld geleistet. Über 90 Kilometer Kabel wurden unter anderem verlegt. (Quelle: Royal Netherlands Army/Donny Demmers)

 

Hoch sensible Bereiche – nur mit Freigabe

Geheimhaltung hat höchste Priorität. Ohne die Sicherheitsfreigabe „NATO-SECRET“ darf niemand das Übungsareal betreten. Handys, Tablets, Laptops und sämtliche andere Geräte, auf denen Daten gespeichert werden können, müssen vor dem bewachten Eingang in Spinde verschlossen werden.

 

Sicherheit und Geheimhaltung sind oberstes Gebot. Vor Betreten der Übungszone müssen alle nicht freigegebenen elektronischen Geräte verschlossen werden. (Quelle: Bundeswehr/Kevin Schrief)

 

Ein Niederländer übernimmt die Führung

Die Luftwaffe nimmt mit rund 150 Soldatinnen und Soldaten in Verantwortung des Luftwaffentruppenkommandos unter der Führung von Oberstleutnant Bernhard Klein an der Übung teil. „JPOW findet in einem zweijährigen Rhythmus statt. Bereits jetzt kann man sehen, dass wir qualitativ einen riesigen Schritt nach vorne gemacht haben. Es ist sehr spannend zu sehen, wie hier 18 Nationen Hand in Hand zusammenarbeiten.“, sagt er.

Wo Flugabwehr und Luftverteidigung gefragt sind, darf das Flugabwehrraketengeschwader 1 natürlich nicht fehlen. Angeführt werden die Husumer von einem Niederländer. Luitenant-Kolonel Bas van Mullekom ist Projektoffizier für deutsch-niederländische Zusammenarbeit und für diese Übung in seiner Heimat eine ausgezeichnete Besetzung. Ein weiteres Beispiel dafür, dass Multinationalität für die Luftwaffe von großer Bedeutung ist. „Für uns ist das eine sehr gute Übung, um wieder mal mit anderen Nationen zusammenzuarbeiten. Wir können mit unseren internationalen Partnern planen und koordinieren und dadurch einen gemeinsamen Plan für die Luftverteidigung erstellen.“, erzählt er.

 

Der Kontingentführer, Oberstleutnant Bernhard Klein, im Gespräch mit dem Leiter deutscher Flugabwehrraketenkräfte, Luitenant-Kolonel Bas van Mullekom. (Quelle: Bundeswehr/Kevin Schrief)

 

Sämtliche Waffensysteme sind miteinander vernetzt

Aber nicht nur Multinationalität, sondern auch Digitalisierung hat sich die Luftwaffe auf ihre Fahnen geschrieben. JPOW zeigt eindrucksvoll, dass die verschiedenen Länder anhand von vernetzten Computersystemen gemeinsam operieren können.

 

Das CRC ist die Verbindungzentrale zu der übergeordneten Führung. Auch hier arbeiten alle teilnehmenden Nationen Hand in Hand. (Quelle: Bundeswehr/Kevin Schrief)

 

Flugsimulatoren, Kampfschiffe, bodengebundene Flugabwehr, Radargeräte und viele weitere Waffensysteme tragen übergreifend aus den 18 teilnehmenden Nationen zum Lagebild in Echtzeit bei. Eine enorme Datenmenge, die sekündlich durch die Leitungen schießt. Auch das ist ein Übungsziel von JPOW.

 

Bei der simulierten Übung steht im Vordergrund, multinational gemeinsam zu operieren. (Quelle: Bundeswehr/Kevin Schrief)

 

Das sieht auch Kapitänleutnant Timo B. so. Der Marineoffizier koordiniert die Luftverteidigung der zwei angeschlossenen deutschen Fregatten. „JPOW ist sehr wichtig und einzigartig, um streitkräfteübergreifend und multinational Luftverteidigung zu trainieren.“, sagt er. Sein Team besteht aus belgischen, dänischen, niederländischen, norwegischen und deutschen Kameraden.

Wenige Meter nebenan operieren die Spanier und die Husumer mit ihren PATRIOT-Systemen. Aber auch die Verteidigung aus der Luft ist Bestandteil von JPOW.

 

In der Operationszelle der spanischen Kameradinnen und Kameraden werden bodengebundene Flugabwehrraketensysteme koordiniert. (Quelle: Bundeswehr/Kevin Schrief)

 

Die Soldaten des Flugabwehrraketengeschwaders 1 aus Husum unterstützen die Allianz mit ihren Patriot-Systemen. (Quelle: Bundeswehr/Kevin Schrief)

Junge Piloten trainieren unter der Leitung von Oberstleutnant „Koleesch“ an sechs Flugsimulatoren und beschützen die verbündeten Frauen und Männer am Boden.

 

Oberstleutnant „Koleesch“ leitet die Zelle der Flugsimulatoren. Hier unterstützen die Besatzungen die NATO aus der Luft. (Quelle: Bundeswehr/Kevin Schrief)

Der Feind schläft nicht

Natürlich hält die gegnerische Allianz mit voller Härte dagegen. Die feindlichen Aktionen werden ebenso zeitgleich in das vernetzte System eingepflegt. Dafür ist Hauptmann René H. verantwortlich. Er schreibt jeden Tag aufs Neue zusammen mit seinen internationalen Kameraden das Drehbuch des Szenarios und stellt damit die NATO-Mitglieder immer wieder vor neue Herausforderungen. „Bis jetzt werden meine Angriffe größtenteils souverän abgewehrt.“, sagt René H. mit einem anerkennenden Grinsen auf den Lippen.

 

Hauptmann René H., Commander der Royal Netherlands Navy v. d. B. und Lieutennant Colonel L. erstellen täglich das feindliche Szenario. (Quelle: Bundeswehr/Kevin Schrief)

Nach insgesamt vier Wochen endet JPOW in Kürze. Gemeinsam werden die gegnerischen Kräfte zur Aufgabe gezwungen, so dass die diplomatischen Verhandlungen wiederaufgenommen werden und ein Waffenstillstand vereinbart werden kann. Nicht nur für die Luftwaffe, sondern für alle Teilstreitkräfte und alle NATO-Partner ein großer Erfolg. „Einen sicheren Freund erkennt man in unsicherer Sache“ – Marcus Tullius Cicero.

 

Autor: Stephan Jeglinski

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