10 Jahre Zentralisierte Flugüberwachung – und die Erfolgsgeschichte vom „Blauen Klaus“

10 Jahre Zentralisierte Flugüberwachung – und die Erfolgsgeschichte vom „Blauen Klaus“

Das Luftfahrtamt der Bundeswehr (LufABw) feiert das zehnjährige Jubiläum der Einführung der „Zentralisierten Flugüberwachung“ (ZFÜ) des militärischen Flugbetriebes über Deutschland. Hinter dieser technischen Innovation verbirgt sich der sogenannte „Blaue Klaus“, ein blauer Koffer vollgepackt mit Technik, der die Möglichkeit der ortsunabhängigen Beobachtung der Radarerfassung von Luftfahrzeugen im deutschen Luftraum ermöglicht. Ein Grund einmal einen Blick in die Vergangenheit und hinter die Kulissen zu werfen.

Abbildung 1 Kräfteverhältnisse NATO/WP in Mitteleuropa (Quelle: Weissbuch 1983)

 

Einführung der militärischen Flugüberwachung in Deutschland

Ein Blick rund 35 Jahre zurück in die Vergangenheit: Wir schreiben die achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Deutschland war geteilt. Deutschland war im „Kalten Krieg“. Auf beiden Seiten der Demarkationslinie hatten der damalige Warschauer Pakt und NATO ein Waffenarsenal installiert, das auch eine Vielzahl von Luftstreitkräften beinhaltete. Allein in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) waren neben der Bundeswehr noch amerikanische, kanadische, französische, britische, belgische Luftstreitkräfte auf mehr als 50 Flugplätzen stationiert, deren gemeinsame Luftflotte sich auf ca. 1400 Kampflugzeuge, ca. 2100 Hubschrauber und ca. 300 sonstige Luftfahrzeuge belief.

 

Im Angesicht der unmittelbaren Bedrohung durch den Warschauer Pakt entlang der deutsch-deutschen Grenze trainierten diese Luftfahrzeuge intensiv ihren taktischen Einsatz in gemeinsamen Übungen über Westdeutschland. Diese Doktrin erforderte relativ unbeschränkten Tiefflug bis auf 75 m Höhe über Grund und allgemeine Überschallflugmöglichkeit über dem gesamten Bundesgebiet. Ein Umstand, der eine erhebliche Lärmbelastung für die Bevölkerung bedeutete.

 

Im November 1981 demonstrieren mehr als 300.000 Menschen in der damaligen Bundeshauptstadt für Frieden und Abrüstung. Der Ruf nach einer Überwachung und strikteren Reglementierung militärischer Flugbewegungen wurde immer lauter. Diesem Umstand wurde durch eine Initiative des Verteidigungsausschusses 1983 Rechnung getragen, den Tiefflugverkehr mittels zu beschaffender Systeme besser zu überwachen.

Abbildung 2 Grafik zu den telefonisch und schriftlich eingegangenen Beschwerden bei der Flugbetriebs- und Informationszentrale (FLIZ) in den Jahren 1981-1995 (Quelle: /FLIZ 1996)

 

Die Überwachung des militärischen Flugbetriebs ab 1983

Da es vornehmlich um die Überwachung des militärischen Tiefflugverkehrs ging, lag es nahe bereits vorhandene Systeme der Bundeswehr zu verwenden. So wurden die eingesetzten Geräte des Tieffliegermeldedienstes (TMLD) gesichtet und schließlich eine Leihgabe der Industrie vom Typ SKYGUARD MK I einem Truppenversuch unter der Leitung von Oberstleutnant von der Heiden und dem Projektoffizier Hauptmann Urban unterzogen. Dieser Truppenversuch wurde 1984 durch ein zweites Leihgerät ergänzt, bevor mit dem Erwerb von insgesamt vier Geräten und Zusatzausstattung wie Videoaufzeichnungsanlage, Datenrechner und -auswertekabine , sowie verbesserter Zieloptik die Beschaffung 1986 mit einem Kostenaufwand von ca. 44 Mio DM abgeschlossen wurde.

 

Fortan wurden bis zu fünf Überwachungstrupps bestehend aus einem Offizier und bis zu vier Auswertern (Unteroffiziere und ziv. Beamte) zu wöchentlichen Einsätzen in die Bundesrepublik entsandt. Die Flugbetriebs- und Informationszentrale (FLIZ) innerhalb des Luftwaffenamtes (LwA), Köln wuchs damit auf über 30 Dienstposten an. Ab 1987 wurden die Radartrupps aus logistischen und operationellen Gründen auf jeweils einen Standort in Süddeutschland (Mosbach) und Norddeutschland (Diepholz) aufgeteilt. Zur Verschleierung der wöchentlich wechselnden Einsatzorte gegenüber den zu überwachenden fliegenden Verbänden, waren die Trupps angewiesen nur zivile Unterkünfte zu nutzen und als Unterstellorte für die SKYGUARD Radare vornehmlich Bauhöfe und örtliche Einrichtungen zu nutzen. Um die Neutralität der Auswertung zu gewährleisten, wurden für die Auswertung der Radardaten und des Bildmaterials keine Soldaten sondern Beamte des mittleren technischen Dienstes eingesetzt. Dabei lag bei einem SKYGUARD Einsatz das Augenmerk einerseits auf der Überwachung des Flugbetriebes in der Umgebung des mobilen Radars und andererseits auf der Information der Öffentlichkeit im regionalen Umfeld über den Flugbetrieb der Streitkräfte.

Abbildung 4 Beispiel Fotoaufzeichnung SKYGUARD MK I – Tiefflugüberwachung (Quelle: FLIZ 1989)

 

Ablösung von SKYGUARD durch die „ Zentralisierte Flugüberwachung“

Bereits ab der Einführung der SKYGUARD wurde Kritik laut, dass diese Geräte nur den unmittelbaren Umkreis ihres Standortes (ca. 20 km) überwachen konnten. Mit der Zieloptik und Videoanlage war die Identifizierung der Luftfahrzeuge, zudem meist auch auf vorherrschende gute Sichtbedingungen begrenzt.
Nachdem bekannt wurde, dass die Radarsignale des SKYGUARD auch auf den Radarwarnempfängern der Piloten angezeigt wurden und die Luftfahrzeuge somit einer Erfassung ausweichen konnten, wurde an der Objektivität der Überwachung gezweifelt. Zudem waren die Systeme nicht für den ständigen Standortwechsel ausgelegt, sodass sich zunehmend auch technische Fehler mehrten und der Klarstand der SKYGUARD Flotte sank.

 

Nach der Wiedervereinigung und dem Ende des kalten Krieges wurden die in Deutschland stationierten alliierten Luftstreitkräfte in den folgenden 10 Jahren deutlich reduziert. Bis auf die US Streitkräfte zogen sich alle anderen in Deutschland bislang präsenten alliierten Streitkräfte zurück. Auch die Bundeswehr reduzierte ihre Luftstreitkräfte und die Anzahl der militärischen Flugplätze. Folglich sank auch die Anzahl der militärischen Flugbewegungen im deutschen Luftraum. Parallel entwickelte sich die militärische Technik weiter, so dass Tiefflugeinsätze zunehmend an Bedeutung verloren. Damit konnte die stichpunktartige, regional beschränkte Flugüberwachung durch die SKYGUARD Radare nur noch wenige Ergebnisse liefern. Um den komplexen Auswerteprozess der Flugüberwachung durch SKYGUARD zu optimieren, wurde Ende der 90er Jahre die Datenverarbeitung mittels Computer innerhalb der FLIZ voran getrieben und die Verarbeitung maschinenlesbarer Meldungen verfolgt. Hauptmann Mücher ergriff hier die Initiative sich zunehmend auf Datenbanken abzustützen. Dies mündete in einem Nutzungskonzept der „Zentralen Datenbank für den militärischen Flugbetrieb“ (ZDmF) – einer Datenverarbeitungsanlage die alle flugbetrieblich relevanten Daten sammeln, auswerten und speichern können sollte und sich wesentlich auf das Flugsicherungs-Informationssystem der Bundeswehr abstützte ( FSInfoSysBw).
Zusätzlich und in Ergänzung zu den Ergebnissen der Radartrupps wurde die Auswertung von Flugwegprofilen durch die Nutzung eines abgesetzten Datensichtgerätes der Flugsicherung Maastricht (ADMAR 2000) am Standort Köln ab 1996 realisiert. Ein System das die Radar- und Flugplandaten der zivilen Flugverkehrskontrollstelle in Maastricht (EUROCONTROL) für den Einsatzführungsdienst in den Luftverteidigungsstellungen zur Verfügung stellte. Dies erlaubte die flächendeckende Radarüberwachung von Flugbewegungen oberhalb ca. 2000 ft (ca. 600 Meter) und wurde als Ergänzung zur der regional begrenzten Tiefflugüberwachung durch SKYGUARD Radare genutzt.

 

Im Rahmen von Erhebungen durch den Bundesrechnungshof wurde die Kosteneffizienz der Flugüberwachung mittels SKYGUARD, auch vor dem Hintergrund sinkender militärischer Tiefflugzahlen seit der Wiedervereinigung überprüft. Vorschläge zum „Outsourcing“ der Flugüberwachung an zivile Firmen wurden wegen erheblicher Kosten verworfen. Unter Betrachtung erheblich gestiegener Instandhaltungskosten von ca. 2, 5 Mio € jährlich für die bestehenden SKYGUARD Systeme und der anstehenden Regeneration dieser Geräte für ca. 25 Mio € wurde seinerzeit durch Hauptmann Mücher ein Verbesserungsvorschlag im Rahmen des „Kontinuierlichen Verbesserungs- Programms“ (KVP) eingebracht.

Abbildung 5 SKYGUARD Einsätze und Flugverfolgungen 1983-95 (Quelle: FLIZ 1996)

 

In diesem Vorschlag für eine „Alternative Tiefflugüberwachung“ wurde im Jahr 2003 angeregt, zusätzlich zu den Daten des o.a. ADMAR 2000 Systems die Radardaten der zivilen Flugsicherung (Weitbereichs- und Flugplatzradare) verfügbar zu machen. Dies sollte durch die offenen, nicht vertraulich eingestuften Anteile des Netzes der militärischen Radarsensoren der Luftverteidigung (MILRADNET) und der Flugplatzradare der militärischen Flugplätze (ASR) ergänzt und zentral am Standort Köln für die ZDmF verfügbar gemacht werden. Mit Hilfe dieser multisensorischen Radardatenverarbeitungsanlage ließe sich die Erfassungsgenauigkeit und – höhe von Flugzielen derart verbessern, dass eine Flugverfolgung bis in niedrige Flughöhen möglich sein sollte. Der Gedanke einer „Zentralisierten Flugüberwachung“ (ZFÜ) war geboren.

 

Der Wandel vom System SKYGUARD zur neuen computergestützten „Zentralisierten Flugüberwachung“- ZFÜ

Das vorgeschlagene technische Konzept zur „Alternativen Tiefflugüberwachung“ wurde auf seine Realisierbarkeit und den zu erwartenden Nutzen geprüft. BMVg FüL III 4 stellte die Brauchbarkeit und Umsetzbarkeit fest und errechnete ein Einsparungspotential von mehreren Millionen Euro. Dem KVP Vorschlag wurde stattgegeben. Bis zur Realisierung mussten noch verschiedene Informationssysteme mit der ZDmF / ZFÜ der Bundeswehr vernetzt werden: z.B. FSinfoSysBw, SKYGUARD etc. Hierfür waren auch infrastrukturelle Maßnahmen umzusetzen, wie die Einrichtung von Serverräumen mit entsprechender Klimaanlage. Die Umsetzung des Gesamtkonzeptes bedurfte auch erheblicher Unterstützung durch zivile Firmen, die auf die Verarbeitung großer Datenmengen spezialisiert waren.

Oberstleutnant Dr. Reitemeier – Rückblick und Zukunft ZFÜ (Quelle: LufABw/Agathe Kulla)

Der Übergang von der dezentralen Flugüberwachung durch Radartrupps zu der zentralisierten Variante hatte auch personelle Konsequenzen. So musste ein Teil des Bedienungspersonals der SKYGUARD Geräte auf die neuen Tätigkeit in der Datenverarbeitung am zentralen Standort Köln umgeschult werden bzw. auf eine andere Verwendung vorbereitet werden.

 

Die Zentralisierung der Flugüberwachung bedeutete auch den Verlust der wöchentlichen Präsenz der Radartrupps im Bundesgebiet und der Aufklärung der Bevölkerung in den Veranstaltungen durch die jeweiligen Radartrupp Führer. Diesem Verlust wollte man durch die Möglichkeit einer mobilen Darstellung der neuen computergestützten Flugüberwachung begegnen. Mit Hilfe dieser mobilen Anlage sollten dann weiterhin öffentliche Veranstaltungen zur Aufklärung der Bevölkerung über den militärischen Flugbetrieb durchgeführt werden. Die Komponenten dieses mobilen System waren in einem blauen Rollkoffern untergebracht – der Spitzname für die mobile militärische Flugüberwachung wurde geprägt: DER BLAUE KLAUS – angelehnt an den „ blauen Koffer“ sowie eine damals populäre Comic-Figur des Künstlers Loriot, die eine blaue Gestalt in einer fliegenden Untertasse zeigte.

 

Parallel zur weiter fortgesetzten Tiefflugüberwachung mit SKYGUARD wurde ein Truppenversuch zur Evaluierung des neuen Konzeptes durchgeführt. Ab Anfang 2006 waren die stationären Arbeitsplätze der ZFÜ verfügbar. Während der Internationalen Luftfahrtausstellung (ILA) 2006 bewährten sich auch die mobilen Komponenten der ZFÜ bei der Überwachung und Aufzeichnung des Displayflugbetriebs. Am 30.06.2006 erließ der Inspekteur der Luftwaffe die „Weisung für die Zentrale Flugüberwachung“ mit dem Auftrag zur Überwachung des militärischen Flugbetriebes im Frieden und der Durchführung von Öffentlichkeitsarbeit (ÖA) zum Thema mil. Flugbetrieb. Am 28.09.2006 wird die Tiefflugüberwachung mit SKYGUARD am letzten Einsatzort Bad Neuenahr/ Ahrweiler nach mehr als 1500 Einsätzen und über 90 000 verfolgten Luftfahrzeugen eingestellt.

Der sogenannte „Blaue Klaus“ (Quelle: LufABw/Agathe Kulla)

 

Auswirkung der ZDmF / ZFÜ auf die Überwachung des militärischen Flugbetriebs

Mit der neuen Datenverarbeitungsanlage ist die kontinuierliche Datenübertragung aus dem zivil-militärischen Radarnetzwerk (RADNET /MilRADNET) realisiert. Dies erlaubt eine ständige Beobachtung des Flugverkehrs über ganz Deutschland in nahezu Echtzeit, rund um die Uhr. Darüber hinaus werden diese Daten auch gespeichert, sodass eine Flugbewegung auch bis zu drei Jahren nach ihrer Aufzeichnung noch detailliert analysiert werden kann. Die Nachteile der regional begrenzten, zeitlich eingeschränkten, auf niedrige Flughöhen optimierten und auf gute Sichtbedingungen limitierten, personalaufwendigen SKYGUARD Überwachung konnten so überwunden werden.

 

Nunmehr leisteten drei Sachbearbeiter im Tagesschichtbetrieb Dienst in der Zentralisierten Flugüberwachung (ZFÜ) für ganz Deutschland, der bei Bedarf auch auf die Zeiten des Nachttieffluges ausgeweitet werden konnte. Dabei konnten eigene Überwachungsräume definiert werden, die eine besonders detaillierte Beobachtung erlaubten. Neben der klassischen Tiefflugüberwachung gewann dabei die Beobachtung der zeitweilig reservierten Übungslufträume (TRA ) mehr und mehr an Bedeutung.

 

Mit der Verortung der Zentralisierten Flugüberwachung innerhalb des Luftfahrtamtes der Bundeswehr (LufABw) ab 2015 können neben der Fortführung des parlamentarischen Überwachungsauftrags auch Beiträge zur Qualitätssicherung geleistet werden: Durch das Luftfahrtamt erlassene flugbetriebliche Regelungen können mit Hilfe der ZFÜ in ihrer Umsetzung im Flugbetrieb beobachtet werden und wertvolle Anregungen zur Optimierung von Vorschriften, verbesserter, eindeutiger Formulierung von Weisungen und erkanntem neuen Regelungsbedarf gegeben werden.

 

Autor: Dr. Christian Reitemeier/LufABw

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