ABC-Abwehrdienstfeldwebel Felix Becker ist angespannt, auch wenn es nur eine Übung ist: Vor wenigen Minuten hat der Gefechtsstand einen türkischen F16-Kampfjet angekündigt. Luftfahrzeug und Crew könnten kontaminiert sein. Jetzt muss jeder Handgriff sitzen. Und das unter vollem ABC-Schutz bei 30 Grad Celsius unter der Sonne Antalyas.
Schwitzen unvermeidlich
Es ist bereits Oktober, doch das Thermometer in Antalya in der Türkei erreicht hochsommerliche Temperaturen. Schon beim Anlegen des ABC-Schutzanzuges läuft deshalb den Spezialisten um Oberfeldwebel Felix Becker, den ABC-Abwehrdienstfeldwebel des Taktischen Luftwaffengeschwaders 73 „Steinhoff“ aus Laage, der Schweiß den Rücken hinunter. Seine zwölf Männer und Frauen kommen aus verschiedenen Bereichen der Luftwaffe. In den letzten Wochen haben alle hart trainiert, um die nötigen Verfahren bei der multinationalen Übung Toxic Trip (Giftige Reise) zu beherrschen. Gerade biegt das Fahrzeug mit der kontaminierten Jet-Besatzung um die Ecke. „Es geht los“, informiert Felix seine Crew über das Kehlkopfmikrofon. Die Spezialisten bestätigen die Ansage mit dem typischen „Daumen hoch“. 15 Minuten später ist dieser Übungsdurchgang erledigt. Es wird einer von vielen an diesem Tag sein. Dazwischen heißt es Ausschwitzen, trinken, Fehleranalyse und Vorbereitung auf die nächste Lage.
Internationaler Workshop
Seit 1994 trainiert die Luftwaffe jährlich Abwehrmaßnahmen gegen die Wirkungen atomarer, biologischer und chemischer Kampfmittel (ABC-Abwehr) im multinationalen Verbund. Rund 400 Spezialisten aus 14 Nationen trafen sich in diesem Jahr in der Türkei. Schwerpunkt war das Training von standardisierten Verfahrensabläufen im Umgang mit unterschiedlichen Anzügen, Helmen und Beatmungssystemen von Luftfahrzeugbesatzungen. „Die Sicherheit liegt im Verfahren. Diese werden stetig optimiert und an die weiterentwickelten Ausrüstungssysteme der internationalen Luftfahrzeugbesatzungen angepasst“, erläutert Hauptmann Carsten Markert, seit elf Leitender von Toxic Trip und verantwortlicher Offizier der Luftwaffe für den Bereich der CBRN Defense, die Abwehr von chemischen, biologischen, radiologischen und nuklearen Kampfstoffen. Markert betont, dass diese Übung gleichzeitig auch als Workshop dient, um die Ausrüstung und die Verfahren anderer NATO-Mitglieder und Partnerstaaten kennenzulernen, voneinander zu profitieren und gemeinsame Mindeststandards festzulegen. Daher lernen die Nationen zunächst in sogenannten Cross-Trainings voneinander und arbeiten gegebenenfalls einzelne Komponenten in die eigenen Verfahren ein, um das Erlernte danach in komplexen Übungslagen an zwei Tagen umzusetzen.
Der ABC Profi: Leidenschaftlich und leidensfähig
An fünf Stationen werden die Luftfahrzeugbesatzungen schrittweise von Ausrüstung, Anzug und Helmsystemen befreit. Unter körperlicher Höchstbelastung ist konzentriertes und exaktes Arbeiten der Garant dafür, dass die Kontamination von Station zu Station nicht verschleppt wird. Hundertfach geübte Handgriffe finden jetzt ihre Anwendung. Ziel ist, den Piloten oder die Crew dekontaminiert und einsatzfähig der Truppe zurück zu führen.
„Das ABC-Geschäft ist weit mehr als ,Maske auf und Maske ab‘“, berichtet Oberfeldwebel Becker. Der Umgang mit hochtechnisiertem Gerät und der Aufbau und Betrieb von Dekon-Anlagen und Kampfstoffanalysen sind das tägliche Geschäft der Fachleute. Auf die Frage, was ein ABC-Spezialist noch an Voraussetzungen mitbringen sollte, lächelt der gelernte Chemielaborant: „Wir sind schon ein Stück weit leidensfähig. Das Arbeiten unter ABC-Schutz setzt körperliche Fitness voraus. Die Tätigkeit schweißt die Gruppe schnell zusammen. Somit sind wir auch eine Familie, Teamplayer mit fundiertem Wissen, die ein außerordentliches Zusammengehörigkeitsgefühl auszeichnet.“
Schwierige Situation für die Luftwaffe
Obwohl die Luftwaffe in den vergangenen Jahren ihr ABC-Personal leider drastisch reduzieren musste, bleibt die deutsche Beteiligung extrem wichtig, um trotzdem international maßgeblich beteiligt zu bleiben und nicht den Anschluss zu verlieren. Hauptmann Markert ist dabei auf die Unterstützung aller Luftwaffenverbände angewiesen, um das erforderliche Personal für die Beteiligung an Toxic Trip aufstellen zu können. „Ebola, Fukushima oder aktuell gerade die Tornado-Aufklärungsflüge von der Türkei aus sind die besten Beispiele dafür. Wir können es uns nicht leisten, auf militärische oder asymmetrische Bedrohungen, Katastrophen oder Unglücksfälle nicht vorbereitet zu sein“, stellt Markert fest und betont: „Multinationale Einsätze wie in Incirlik sind das beste Szenar für unsere Übung und rechtfertigen die Beteiligung vieler NATO- und Partnernationen an Toxic Trip. Und das seit mittlerweile 22 Jahren mit stets wachsender Teilnehmerzahl.“ Die Frauen und Männer der Luftwaffe und des Sanitätsdienstes hätten auch in diesem Jahr wieder einen Top-Job abgeliefert. Der Hauptmann: „Die Einschätzung von Brigadegeneral Michael Gschoßmann, des Kommandeurs Bodengebundene Verbände Luftwaffe, aus dem letzten Jahr bestätigt, dass die Luftwaffe eigene Spezialisten benötigt, um auch in solchen Szenarien vollumfänglich einsatzbereit zu bleiben und den Schutz des eigenen Personals sicherzustellen.“
Autor: Peter Meenen/Luftwaffe