Krankenwagen über den Wolken

Krankenwagen über den Wolken

Patientenbetreuung in achttausend Metern Höhe. Dieser Herausforderung stellen sich Feldwebel Mathias Edenharter und seine Kameraden. Die Sanitätssoldaten nehmen in Königsbrück und Fürstenfeldbruck an einem AirMedEvac-Lehrgang teil. Bei einem Übungsflug in einer zur MedEvac-Maschine umgerüsteten Transall des LTG 61 in Penzing trainieren sie unter realen Bedingungen.

 

Bereits eine Woche zumeist theoretischen Unterricht haben die aus ganz Deutschland angereisten zwölf Angehörigen des Zentralen Sanitätsdienstes hinter sich. Für den finalen Teil ihres Lehrgangs kommen sie nun zum LTG 61 in Penzing. Rettungsassistent Mathias Edenharter und die anderen waren bereits in Königsbrück in der Druckkammer. Dort haben sie am eigenen Leib erfahren, wie sich ein plötzlicher Druckabfall auf die Leistung ihres Gehirns und des Bewegungsapparates auswirkt. Jetzt steht ihnen die Vorfreude auf die kommenden zwei Tage bereits ins Gesicht geschrieben: „Einige von den anderen sind ebenso wie ich bislang noch nie mit einer Transall geflogen. Das wird sicherlich sehr spannend“, glaubt Mathias Edenharter. Die Voraussetzungen für den AirMedEvac-Lehrgang haben alle bereits erfüllt: sie sind ausgebildete Rettungsassistenten oder Mediziner. Nach diesem Basislehrgang können die Sanitätssoldaten in weiteren Ausbildungen noch intensiver geschult werden. Feldwebel Edenharter zum Beispiel wird ab Mitte 2016 Flugmedizinischer Assistent. Damit wäre er so etwas wie der „Arzthelfer des Fliegerarztes“.

 

Im Notfall ist Kreativität gefragt

Wer an Bord einer MedEvac-Transall mitfliegt, muss zuvor die sogenannte ACM-Ausbildung durchlaufen. ACM bedeutet: „Additional Crew Member“. Man gilt also als zusätzliches Besatzungsmitglied. In die an Bord befindlichen Rettungs- und Sicherheitssysteme weisen die Ausbilder die Sanitätssoldaten besonders intensiv ein. Denn diese könnten im Notfall über Leben und Tod entscheiden. Fluggerätemechaniker Kurt Passig erklärt den Sanitätern deshalb alles ganz genau. Besonders die Rettungsinsel stößt bei seinen Zuhörern auf reges Interesse. Im Falle einer Wasserung – also einer Notlandung im Wasser – wäre diese Insel ein sicherer Zufluchtsort. Doch auch die grell orange leuchtenden Schwimmwesten und die tragbaren Höhenatemgeräte mit Notsauerstoff sind lebenswichtig. Alternativ kann sich das fliegende Personal auf die Besatzungsschwimmwesten mit ihrer umfangreichen Notausrüstung verlassen. Dazu gehören neben unterschiedlichen Signalmitteln auch ein Magnesiumzündstab und ein Taschenmesser.

 

Alle vorgestellten Rettungssysteme haben eins gemeinsam: sie sind sehr leicht anwendbar. Und Kurt Passig gibt den Lehrgangsteilnehmern noch einen guten Rat mit auf den Weg: „Seien Sie kreativ! Hängen Sie nach einem möglichen Absturz zum Beispiel 25 Schwimmwesten in einen Baum. So wird man Sie wesentlich leichter entdecken.“

 

Ohne geordnete Kommunikation geht es nicht

Wie man eine Transall nach einer Notlandung schnellstmöglich verlassen kann, erfahren die Rettungsassistenten von Ladungsmeister Herbert Wintersohl. Dabei lässt er die Lehrgangsteilnehmer auch mal selbst einen Notausstieg oder eine der schweren Türen öffnen. Mit seinen knapp zwei Metern Körpergröße gelingt Mathias Edenharter dieses Kunststück spielend leicht. Damit während eines Fluges trotz des Lärms auch die Kommunikation reibungslos verläuft, erklärt Herbert Wintersohl auch die Bordverständigungsanlage (BVA): über ihre blauen Kopfhörer ist das gesamte medizinische Personal miteinander verbunden. Damit sich jedoch kein Sprachgewirr in den Funkkreis ergießt, kann immer nur eine Person zu den anderen sprechen.

 

Nach 16 Jahren Flugerfahrung kennt Herbert Wintersohl jeden Winkel der Transall ganz genau. Dazu gehört auch der „blaue Briefkasten“, die kleine Bordtoilette. „Vergessen Sie nicht, den anderen Bescheid zu geben, wenn Sie ‚nach Post gucken‘ gehen! Sonst könnte es unangenehm werden“, warnt er lachend.

 

Die Ausrüstung ist so schwer wie ein Geländewagen

Vor dem Flug kommen Mathias Edenharter und seine Kameraden ordentlich ins Schwitzen: unter der Anleitung von Medizintechniker Gerd Kirchhof wuchten die Sanitätssoldaten die insgesamt zweieinhalb Tonnen schweren AirMedEvac-Ausrüstungsteile in die Transall. Zunächst richten sie zwei Patiententransportplätze (PTE) ein. Diese sind für den Transport von Intensivpatienten gedacht und sind mit medizinischem Gerät ausgestattet. Die Ausrüstung besteht aus einem Überwachungsmonitor, einer Spritzenpumpe, einem Infusionsgerät, einer Absaugpumpe, einem Defibrillator und einem Beatmungsgerät mitsamt der schweren Sauerstoff- und Druckluftflaschen.

 

Auf den ersten Blick wirkt es, als würde ein Ameisenhaufen wild durcheinander wuseln. Doch auch die Patientenliegeplätze (PLP) für die „normalen“ Patienten rüsten die Soldaten sehr koordiniert ein: nach kurzer Übung sitzt jeder Handgriff. Charakteristisch für die PLPs ist das Stapelprinzip. Immer zwei Liegen sind übereinander in das Tragesystem eingehängt. „Wenn Sie die Patienten einladen, denken Sie daran, den ersten Patienten oben zu platzieren. Wenn unten schon einer liegt und über ihm ein anderer herangewuchtet wird, bekommt der es sonst mit der Angst zu tun“, weiß Gerd Kirchhof. Dass die Sanitätssoldaten die AirMedEvac-Ausrüstung selbst im Flugzeug montieren können, ist wichtig. Denn für diese Aufgabe sind sie auch im Auslandseinsatz zuständig.

 

Durchgeschüttelt, aber warm

Nach all den Einweisungen und Vorbereitungen kann es am folgenden Tag endlich losgehen: das mehrere Jahrzehnte alte Flugzeug fängt an zu rumpeln, als die Piloten an diesem verschneiten Mittag die Motoren anlassen und die Transall in Richtung Startbahn rollt. Die robuste medizinische Ausrüstung zur Überwachung der Patienten rüttelt in ihren Halterungen. Auf den Bänken an den Innenwänden des Fliegers werden auch die zukünftigen AirMedEvac-Begleiter leicht durchgeschüttelt. Mathias Edenharter spürt die Vibrationen noch intensiver als seine Kameraden. Er liegt im Heck als „Patient“ festgeschnallt auf einer Trage. „Hier hinten ist es zwar recht kalt, aber die Decken halten mich warm. Und die anderen kümmern sich gut um mich“, lobt er seine „Betreuer“. Auf dem Rückflug wird er sich bei ihnen revangieren dürfen. Dann tauschen die Teilnehmer ihre Rollen.

 

In der Regel bleibt es ruhig…

Während des Starts müssen alle Flugzeuginsassen sitzenbleiben. Denn die Versorgung des Patienten ist in dieser Phase aus Sicherheitsgründen untersagt. Da die Patienten bei MedEvac-Flügen bereits stabil – und somit transportfähig – sind, stellt das kein schwerwiegendes Problem dar. „Andernfalls würde auch etwas nicht richtig laufen. Ein gut vorbereiteter Flug zeichnet sich dadurch aus, dass unterwegs nichts passiert“, stellt der Medical Director, Dr. Henning von Perbandt, klar. „Oft denken die Leute ja, bei so einem Flugzeug handele es sich um ein fliegendes Krankenhaus. Da unsere Möglichkeiten zur Patientenbetreuung allerdings recht eingeschränkt sind, kann man besser von einem fliegenden Krankenwagen sprechen.“

 

…aber nicht auf diesem Flug

Auf den Wegen nach Köln und zurück bleibt es bis auf das alles durchdringende Dröhnen der Maschinen schließlich auch recht ruhig. Zumindest fast: auf dem Hinflug hört einer der zwei Intensivpatienten plötzlich auf zu atmen, sein Herz steht still. Umgehend wird dieser von einer Puppe dargestellte Patient von dem zuständigen Arzt und seinem Rettungsassistenten reanimiert. Nach einigen dramatischen Minuten können sie vermelden: die Vitalfunktionen des Patienten sind wiederhergestellt, ein Leben gerettet.

 

Auch Mathias Edenharter beweist sich an der Patientenpuppe aus Gummi und Plastik: um auf Dauer die Atmung des Patienten zu sichern, intubiert ihn der Feldwebel. Das bedeutet, er hält die Atemwege durch einen sogenannten Tubus frei. „Das ist während des Fluges gar nicht so einfach. Bei dem Lärm und vor allem den Vibrationen muss man sich noch stärker konzentrieren, als ohnehin schon. Aber mit ein bisschen Übung ist das kein Problem.“

 

AirMedEvac-Begleitung schützt nicht vor Einreisebestimmungen

Während des einstündigen Stopps in Köln erfahren die Sanitätssoldaten viel über den dort stationierten Airbus A-310 MedEvac. Neben einer wesentlich größeren Reichweite kann er auch deutlich mehr Patienten aufnehmen: bis zu sechs PTEs und zwischen 38 und 54 PLPs. Oberstabsfeldwebel Guido Rademacher berichtet von einigen zurückliegenden Einsätzen. Dabei zeigt er nicht nur rein-medizinische Schwierigkeiten auf, mit denen das AirMedEvac-Personal im Rahmen seiner Flüge immer wieder konfrontiert wird: „Haben Sie auf jeden Fall immer Ihren Pass dabei. Es mussten schon manche Leute im Flieger bleiben.“

 

Gerüstet für die kommenden Einsätze

Zurück in Penzing stehen die Sanitätssoldaten nun kurz vor dem Ende ihrer AirMedEvac-Ausbildung. Sie alle sind jetzt in der Lage, Patienten im fliegenden Krankenwagen zu begleiten. Für die deutschen Soldaten im Einsatz hat das eine wichtige psychologische Bedeutung: sie wissen, dass sie im Notfall jederzeit und von jedem Ort der Welt wieder sicher nach Hause gebracht werden können. Neben elf neu ausgebildeten AirMedEvac-Sanitätern hat der Lehrgang zudem einen weiteren Nutzen entfalten können: das LTG 63 in Hohn und das LTG 61 in Penzing wechseln sich regelmäßig in der AirMedEvac-Bereitschaft für das europäischen NATO-Gebiet ab. Am Tag des Ausbildungsfluges ging der Staffelstab wieder an Penzing. Weil die Lehrgangsteilnehmer die Transall bereits im Rahmen ihrer Ausbildung eingerüstet hatten, haben somit alle Beteiligten etwas von der Kooperation. Einige Kameraden von Feldwebel Edenharter werden bereits demnächst in Auslandseinsätze gehen. Im kommenden Jahr wird Mathias Edenharter dann selbst in den Einsatz ins Kosovo gehen. Trotz seiner besonderen Ausbildung bleibt er jedoch bodenständig: er wird dort nicht als AirMedEvac-Begleiter tätig sein, sondern als Kommandant eines Beweglichen Arzttrupps (BAT).

 

Autor: Florian Neugebaue/Luftwaffe
Foto: Uwe Lenke/Luftwaffe

 

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