Gelb leuchtet ein Ziel auf dem Bildschirm des Suchradars auf. „Siehst du den Jet?“, hört man eine Stimme über Funk fragen. „Ja, Ziel erfasst. Ich hab ihn“, lautet die schnelle Antwort. Bei der Übung Frisian Flag war auch der deutsche Anteil Polygone dabei. Startet eine Mission, wird es für die Soldaten des SA-6, einem Flugabwehrsystem aus NVA-Beständen, hektisch.
Es ist windig und kalt an diesem Donnerstagmorgen in Schwesing in der Nähe von Husum. Noch sind die Soldaten des deutschen Anteils Polygone aus Bann gelassen und besprechen letzte Einzelheiten. Unter ihnen Stabsfeldwebel Holger Brecht. Polygone sind bodengestützte Luftverteidigungssysteme. Sie wurden bereits in den 50er Jahren von den Russen entwickelt, um bewegliche Einheiten zu schützen. Nach Auflösung der Nationalen Volksarmee (NVA) wurde ein Teil der Polygone (SA-6 und SA-8) übernommen und gehört jetzt zum Zentrum Elektronischer Kampf Fliegende Waffensysteme. Sie sind heute technisch auf dem neusten Stand. Alter Stahl trifft auf moderne Technik.
Polygone gegen 50 Kampfjets
In Schwesing steht das SA-6 Kettenfahrzeug mit der großen Radarantenne an der Seite eines Rollfelds. „Die erste Mission startet um 10.45 Uhr“, gibt einer der Soldaten durch. Stabsfeldwebel Brecht nickt und nimmt weitere Informationen entgegen. Die Übungs-Airbase in den Niederlanden hat soeben angerufen. Von dort werden 50 Kampfjets starten und simulierte Angriffe fliegen. Mit dem Radar des SA-6 können die Flugzeuge aufgeklärt werden. Wird ein Jet erfasst, kommt es zur simulierten Bekämpfung. Bei der Übung Frisian Flag sind acht Nationen dabei. Den Piloten ermöglicht das, den elektronischen Kampf gegen Polygone zu üben.
Der kalte Stahl erwacht zum Leben
„Los geht’s“, hört man noch einen der Soldaten schmunzelnd sagen, bevor er in einer der kleinen Einstiegsluken des SA-6 verschwindet. Dann ein kurzes, aber lautes Hupen. Die Luft wird heiß, der Boden bebt. Aus einer Seitenklappe des Fahrzeugs kommt unmittelbar nach dem Start eine Stichflamme. Der kalte Stahl erwacht zum Leben. Die eben noch eisige Nordseeluft scheint plötzlich zu glühen und zu surren. Stabsfeldwebel Holger Brecht streift einen Kopfhörer über. Die anderen Soldaten haben ihre bereits aufgesetzt. „Eine Verständigung wäre bei dem Lärm der Maschine kaum möglich. Doch während der Mission ist die Kommunikation untereinander enorm wichtig“, erklärt Brecht.
Im Inneren zählt jeder Zentimeter
Der Innenraum des ehemaligen NVA-Waffensystems ist praktisch und äußerst platzsparend eingeteilt. Nur vier Soldaten passen hinein. Eingestiegen wird über zwei Luken. Auf jeder Seite gibt es zwei Sitze hintereinander. Um auf den vorderen zu gelangen, muss man zunächst über den hinteren klettern. Ein bisschen aufwendig ist das schon, aber die Soldaten sind routiniert und erfahren. Jeder Griff und Schritt sitzt. Die Radarantenne wird ausgefahren. Dazu muss einer der Soldaten auf das Dach der SA-6 klettern. Nach ein paar Handgriffen kann die schwere Antenne ausgefahren werden. Als alle Soldaten auf ihren Arbeitsplätzen im Innenraum sitzen, schließen sich die Luken des SA-6. Es wird dunkel im Innenraum. Die Spannung steigt. Die Mission startet.
Gelassen wartet das Team auf den Einsatz
Doch plötzlich ist es im Inneren gar nicht mehr so dunkel. Links leuchtet ein grüner Bildschirm auf. Es ist das Suchradar des Waffensystems. Ein Zeiger dreht in gleichmäßigem Tempo seine Runden. Daneben weitere Bildschirme, unzählige Knöpfe und Schalter. Dann ein leises Knacken in den Kopfhörern: „Die ersten Jets sind noch zwanzig Minuten weg.“ Die Soldaten nicken. Auf der rechten Seite ist das Zielverfolgungsradar. Davor sitzt Stabsfeldwebel Holger Brecht. Auf dem kleinen Bildschirm sieht man zwei grüne Linien. Auch hier unzählige Knöpfe, Schalter und Messinstrumente. Daneben das Bild einer Außenkamera, die gen Himmel gerichtet ist.
Alle Soldaten arbeiten schnell, kontrolliert und konzentriert
Mit einem Tablet auf den Knien gibt einer der Soldaten plötzlich Entfernungen und Positionen der Jets durch. „Siehst du ihn?“, fragt Brecht. „Ja, hab ihn. Ich teile ihn dir zu“, ist die schnelle Antwort. Auf dem grünen Suchradar sieht man nun kleine gelbe Striche: Die Jets. Sofort wird einer anvisiert. „Wie hoch ist der?“, fragt der Stabsfeldwebel. Er versucht den Jet zu „tracken“. Dieses Mal klappt es nicht. „Der war schon zu hoch“, stellt er fest. Doch schon geht es weiter. Auf einmal herrscht eine produktive Aufregung. Alle Soldaten arbeiten schnell, kontrolliert und konzentriert.
Der Schuss wird nur simuliert
Ständig hört man über Funk Höhenangaben, Entfernungen und Positionen. Brecht fragt öfters: „Dreht er raus?“ Die Antwort folgt sogleich: „Ja, der dreht wieder ab. Aber hier ist ein neuer.“ Sofort schaut er wieder konzentriert auf den Bildschirm mit den grünen Linien. Diese flackern nun stark. Brecht dreht an den Hebeln, bedient einige Schalter. Die Anzeige schlägt nun vollends aus. „Schieß doch!“ knarzt es durch die Kopfhörer. Der Schuss wird bei der Übung aber nur simuliert. Ob Brecht getroffen hätte, wird später ausgewertet. Die Luft ist mittlerweile stickig. Doch das stört niemanden. Brecht bedient routiniert die Knöpfe, obwohl sie immer noch kyrillische Schrift tragen. Nach einer halben Stunde erscheint der letzte kleine gelbe Strich auf dem Radar.
Nach der Mission wird ausgewertet
Die Luken öffnen sich. Grelles Licht strahlt in den Innenraum des SA-6. Die Soldaten blinzeln. Die erste Mission ist geschafft. Am Nachmittag wird es noch eine zweite geben. „Da wird nochmal alles gegeben“, freut sich Brecht. Doch zunächst werden die Aufzeichnungen an die Übungs-Airbase in den Niederlanden gesendet. Dazu gehört, welche Ziele erfasst und beleuchtet wurden. Durch das Beleuchten kann die halbaktive Missile im Einsatz auf das Kampfflugzeug abgefeuert werden. Dabei folgt sie dem reflektierten Radarstrahl zum Ziel. Für die Übung wird der Schuss simuliert und mit den Flugbahnaufzeichnungen der Jets abgeglichen. Überkreuzen sich die Angaben, wird ein Treffer gezählt.
Die Soldaten von Polygone sind immer unterwegs
Die Soldaten von Polygone unterstützen aber nicht nur bei der Übung Frisian Flag. Sie sind im Schnitt bis zu fünf Mal für solche Zwecke unterwegs. Inklusive Transport der Waffensysteme sind das bis zu vier Wochen am Stück. „Aber für mich ist es interessant, viele neue Leute kennenzulernen und international arbeiten zu können“, sagt Stabsfeldwebel Holger Brecht. In Schwesing werden die Systeme noch am selben Abend wieder verladen. Dann bleibt eine Woche zur Wartung, bevor es wieder weiter nach Frankreich zur nächsten großen Übung geht.
Autor: Lena Wingen/Luftwaffe
Foto: Ekmekcibasi/Luftwaffe